Der Duft Der Wüstenrose
konnte sich noch immer nicht vorstellen, dass ein bisschen Regen, der noch dazu langersehnt war, so ein Unglück sein sollte. Aber sie sprang herunter, nur allzu bereit, sich nützlich zu machen. Doch ohne die schützenden Wände des Ochsenkarrens warf der Wind sie fast um. Sie musste sich mit voller Kraft gegen den Wind stemmen, der sie nun von allen Seiten bedrängte, an ihren Kleidern zerrte und eine Blume nach der anderen von ihrem Hut davonwehte. Sie versuchte, mit den Ochsenkarren Schritt zu halten. Vom Karren aus hatte sie sich das wie einen Spaziergang vorgestellt, und nun erwies es sich als fast unmöglich, vorwärtszukommen. Der Sand war überall, sogar zwischen ihren Zähnen, obwohl sie den Kopf gesenkt und den Mund fest geschlossen hielt. Schritt für Schritt kämpfte sich Fanny voran und fragte sich, wann sie die versprochene Anhöhe erreichen würden.
Plötzlich wurde es taghell, das Heulen des Windes verstummte, und es war einen Moment lang gespenstisch still. Dann krachte ein solcher Donnerschlag, dass Fanny sich instinktiv auf den Boden warf. Sofort war Ludwig bei ihr, um ihr aufzuhelfen. »Nicht liegen bleiben, wir haben es gleich geschafft!« Der nächste Blitz kam und dann wieder Donner, so laut, wie sich Fanny die Pauken und Trompeten des Jüngsten Gerichts vorstellte.
Die kleine Anhöhe erschien Fanny nicht größer als eine Ansammlung von Maulwurfshügeln. Immerhin wuchsen dort Bäume, an die man die Ochsen eiligst anband. Wieder ein Blitz, sofort gefolgt von Höllendonner. War das klug, die Ochsen an Bäume zu binden, fragte sich Fanny, was, wenn der Blitz dort einschlug?
Plötzlich begann es zu regnen, dicke, peitschende Tropfen, die zu einem undurchdringlichen Perlenvorhang und schließlich zu einer Wasserwand wurden, die auf den roten Boden knallte, der so knochentrocken war, dass er die Massen nicht aufnehmen konnte. Es bildeten sich Pfützen, Tümpel, Seen. Tiefe Seen. Fasziniert beobachtete Fanny alles um sich herum. Die Ochsen jaulten, und die Pferde wieherten unruhig. Das Wasser stieg innerhalb von Minu ten bis zu Fannys Knien. Als John das bemerkte, ritt er heran und hob Fanny zurück in den Wagen, der nicht mehr auf die kleine Anhöhe gepasst hatte.
Die Räder waren schon zu zwei Dritteln unter Wasser, und der Regen ließ nicht nach. Im Gegenteil, es kam Fanny so vor, als würde er ständig heftiger werden. Die breite Krempe ihres Hutes wurde von den Wassermassen heruntergedrückt und hing schlapp in Höhe ihres Kinns. Ständig schwappten Bäche vom Hut ihren Rücken herunter, alles war nass. Die Ochsen standen schon bis zum Bauch im Wasser. Giraffen, kam es Fanny in den Sinn, ob die deshalb so lange Beine hatten?
Ludwig band sein Pferd an einen Baum, watete durch das oberschenkeltiefe Wasser und kletterte zu ihr auf den Wagen, setzte sich neben sie und legte seinen Arm schützend um ihre Schultern. »Hab keine Angst, Charlotte«, sagte er und drückte sie an sich. Unter den durchnässten Kleidern spürte sie die Wärme seines Körpers.
Angst?
Verwundert bemerkte sie, dass sie gar keine Angst hatte.
Nicht vor dem Blitz oder dem Donner und schon gar nicht vor dem Wasser. Ganz im Gegenteil, in ihrem Inneren fühlte es sich an, als ob das Wasser einen erstickenden Panzer aufgebrochen hätte, als könnte sie jetzt erst richtig atmen. Dabei stieg das Wasser weiter an. Die Ochsen gaben panische Laute von sich. Hendrik war mit Johns Hilfe auf einen der Bäume geklettert.
Trotzdem wollte sie jeden Tropfen genießen. Sie rückte ein Stückchen von Ludwig ab, doch er hielt sie fest. Dabei rutschte seine Hand über ihr Glasperlenarmband, woraufhin er Fanny sofort losließ. »Diese Perlen sind verdammt noch mal kochend heiß!«, fluchte er und besah sich seine Handflächen, die im Regen dampften. Er sprang wütend auf, kletterte aus dem Wagen und watete durch das bereits taillenhohe Wasser zu John, der beruhigend auf die Ochsen einredete.
Fanny griff nach den Perlen und zuckte zurück. Ludwig hatte recht, sie waren glühend heiß. Trotzdem griff sie noch einmal danach, doch jetzt fühlte sie eine Energie, die sie durchströmte, als ob die Sonne blitzartig durch ihren Körper scheinen würde. »Was ist das?«, murmelte sie. »Was passiert mit mir?« Doch ihre Worte verloren sich im Rauschen des Wassers, dem Donner und dem Brüllen des Viehs.
Sie sah zu John, Hendrik, Ludwig und den Ochsen, beobachtete das immer noch steigende Wasser, vollkommen furchtlos, als wäre es ein Traum und sie
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