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Der Duft Der Wüstenrose

Der Duft Der Wüstenrose

Titel: Der Duft Der Wüstenrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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es sich nicht als Brennmaterial, sonst hätten die Europäer sie längst abgeholzt und verfeuert.«
    Fanny blieb stehen, lauschte den Vögeln und legte eine Hand an die Rinde eines ockergoldfarbenen, rissigen Stam mes, der aussah, als würde er sich schuppen. Als sie neugierig eine dieser Schuppen berührte, schnitten ihr die Kanten tief in den Finger. Blut quoll hervor.
    »Ahh.« Sie steckte Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand in den Mund und leckte das herausströmende Blut ab.
    »Was ist passiert?« John war neben sie getreten und sah sie besorgt an.
    Fanny winkte ab. »Nur eine kleine Schnittwunde.«
    Erst als sie hoch in die Baumkrone sah, entdeckte sie, woher das Vogelgezwitscher kam. Zwischen den glatten, silbrig glänzenden Ästen mit den merkwürdig verzweigten Blättern ragten Blütenstände hervor, die mit kanariengelben Blüten besetzt waren. Und diese Blüten hatten Hunderte von kleinen Vögeln angelockt.
    »Oh«, staunte Fanny, »das ist wunderschön!« Solche Vögel hatte sie noch nie gesehen: graubraune mit weißen Hauben und türkisfarbene mit einem seltsamen, nach unten gebogenen, langen, dünnen Schnabel. Im Baumstamm selbst hatten weit oben schwarz-weiße Vögel mit einem leuchtend roten Fleck auf dem Köpfchen offensichtlich Nester gebaut, denn sie huschten ständig in die Löcher im Stamm und wieder heraus.
    »Das wollte ich Ihnen zeigen«, sagte John. »Es gibt hier in Afrika so viel mehr als nur Farmgelände.« Die Vögel zwitschern so laut, dachte Fanny, so laut und schön, als ob sie morgen sterben müssten. Der leichte Wind wehte einen angenehmen Duft in ihre Nase.
    »Es riecht hier nach Honig«, bemerkte sie und blieb stehen, um zu schnuppern, aber John wartete nicht, sondern deutete auf eine kleine Anhöhe.
    »Kommen Sie weiter!« Er schritt so schnell voran, dass Fanny beim Laufen die Luft wegblieb. Warum hatte er es nur so eilig?
    Schwer atmend erreichten sie die kleine Anhöhe. Als Fanny sich umsah, merkte sie, dass sie in der Mitte eines Kreises aus Steinblöcken stand. Jeder Stein hatte eine andere Form, aber alle waren massiv und aus schwarzrotem Gestein.
    »Ich fühle die Wärme, die die Steine abgeben«, sagte sie verblüfft, breitete ihre Arme aus und drehte sich, wie von einer fremden Macht getrieben, um sich selbst. »Es ist, als ob ich in eine unsichtbare Decke gehüllt werde.«
    »Es sind nicht die Steine, die Wärme abgeben. Wenn Sie an diesem Platz Wärme fühlen, dann ist das ein Geschenk der Ahnen, die hier auf Sie warten, um Sie zu umarmen. Schauen Sie!« John zeigte zur Sonne hin, die gerade dabei war, den Himmel in Brand zu setzen.
    Fanny blieb leicht schwankend stehen. Ihr war ein bisschen schwindelig, aber ihre Augen folgten seiner Hand. Sie sah zwischen den Bäumen mit den üppigen goldgelben Blüten hindurch in eine, wie es ihr vorkam, endlose rotgrüne Weite, die am Horizont mit dem Himmel verschmolz.
    Die Sonne sank rasch und überzog alles mit einem Feuerwerk aus kupfernen, orange- und rosafarbenen Streifen, die sich nach dem Verschwinden der Sonne wieder zu einem Ganzen zusammenfügten und den Himmel erst pflaumenfarben und dann graugrün färbten – und plötzlich war es Nacht.
    Erst als die Vögel verstummten, wurde Fanny wieder bewusst, dass sie nicht allein hier war.
    Sie hatten kein einziges Wort gewechselt, ja, es kam ihr so vor, als hätte sie nicht einmal geatmet, sondern die ganze Zeit über die Luft angehalten. Charlotte, wenn du das doch hättest sehen können. Ihre Kehle wurde eng. Kein Grund, sentimental zu werden, das ist nur ein Sonnenuntergang. Und den gab es jeden Abend überall auf der Welt. Sie gab sich einen Ruck und räusperte sich. »Wir sollten jetzt gehen.«
    John schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Ich …« Plötzlich verzog er seinen Mund zu einem breiten Lächeln und sah über ihre Schulter.
    Fanny spürte eine Bewegung hinter sich. Erschrocken drehte sie sich um.
    Hinter ihr stand eine große schwarze Frau in einem hellen Gewand, das in der Dunkelheit schimmerte, als ob es von innen beleuchtet wäre. An den Armen fingen unzählige Goldreife jeden spärlichen Lichtstrahl ein, den der Mond zwischen den Wolken durchließ, und funkelten wie Sterne. Um ihren Hals hingen Ketten aus merkwürdigen Gegenständen, die Fanny nicht erkennen konnte.
    »Das ist meine Mutter Mbhali Madiba, die große Regenzauberin, genannt Zahaboo , die Goldene.«
    Fanny spürte am ganzen Körper die Energie, die von dieser Frau ausging und die sie umgab

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