Der Duft Der Wüstenrose
»Wir haben viele Kranke draußen in einem der Kraale. Ich wollte Sie um Ihre Unterstützung bitten. Würden Sie mich vielleicht begleiten und ihnen helfen?«
»Was ist denn passiert?«
John zuckte mit den Schultern und starrte zu Boden. »Ich weiß es nicht genau, es könnte Malaria sein. Vielleicht können Sie etwas Chinin entbehren, wenigstens so viel, dass es für die Kinder reicht?«
Fanny fragte sich, warum er sie bei seiner Bitte nicht an sah. »Ist es nicht ungewöhnlich, dass so spät im Herbst die Malaria noch massiv ausbricht?«
»Nichts ist in Afrika ungewöhnlich. Alles kann immer und jederzeit geschehen …« Er presste seine Lippen zusammen, als wollte er sich selbst am Weiterreden hindern. »Wir sollten auf jeden Fall sofort los.«
Er sah ihr auch diesmal nicht in die Augen, was Fanny beunruhigte. Sie konnte sich nur einen einzigen Grund dafür vorstellen: Die Situation in dem Kraal musste viel schlimmer sein, als er ihr verraten wollte. Deshalb zögerte sie keinen Moment mehr. »Solange wir Chinin haben, soll niemand an Malaria sterben, auch kein …«
»Kanake?«, ergänzte John mit bösem Spott. »Oder Bastard?«
Fanny schoss das Blut in die Wangen. Tatsächlich hatte sie Heide sagen wollen. Statt einer Antwort griff sie sich Ludwigs Arzttasche, die er absichtlich nicht mitgenommen hatte, damit unterwegs niemand auf die Idee käme, ihn mit seinem Leiden zu belästigen.
Sie packte alles Chininpulver, das sie finden konnte, hin ein, sah noch einmal nach Kajumba, dann wandte sie sich entschlossen an John. »Ich gebe nur noch Grace und Martha Bescheid, dann fahren wir. Wann werden wir wieder zurück sein?«
»Ganz sicher kurz nach Einbruch der Nacht. Es wird kalt, Sie brauchen unbedingt noch einen Mantel oder eine Jacke.«
Fanny nickte ihm zu und ging ins Haupthaus, dort rief sie nach Grace und erklärte ihr, was sie vorhatte.
Grace starrte sie mit vor Verwunderung kugelrunden Augen an. Ludwig hat recht, schoss es Fanny durch den Kopf, ich habe meine Dienstboten nicht im Griff. Warum erkläre ich mich ihnen, das ist gar nicht nötig.
Sie suchte nach einer dicken Strickjacke, band sich noch einen Schal um und griff sich Ludwigs Tasche, die ihr John gleich wieder abnahm. Draußen wartete schon ein Zweispänner mit Pferden, den John, ganz offensichtlich mit ihrer Bereitschaft rechnend, hatte fertig machen lassen.
Sie stieg auf den Karren und setzte sich neben John auf den Kutschbock.
Er nickte ihr zu und feuerte die Pferde an, als ginge es um Leben und Tod.
Sie betrachtete John von der Seite, sah aber gleich wieder weg, als sie merkte, wie sein Anblick ihr Herz schneller schlagen ließ.
Seit Wochen hatte Fanny die Farm nicht verlassen, nicht einmal zu einem Essen waren Ludwig und sie eingeladen gewesen. Sie lehnte sich zurück, versuchte sich von den irritierenden Gefühlen, die Johns Gesicht in ihr ausgelöst hatte, abzulenken und ließ ihren Blick über die weite Ebene schweifen. Trotzdem kam ihr ständig sein kräftiges Kinn in den Sinn und die vollen Lippen mit dem scharf geschwungenen Amorbogen.
Deshalb bemerkte sie erst nach einiger Zeit, dass sie nicht in südliche Richtung zu den Kraalen fuhren, sondern nach Nordosten.
»John …«, setzte sie an.
Er warf ihr einen kurzen Blick zu, aber er reagierte nicht.
»John, wo in aller Welt fahren wir hin?«
»Es ist eine Überraschung. Ich möchte Ihnen danken.«
»John, das geht nicht, das wissen Sie genau!«
»Vertrauen Sie mir?«
»John!«, befahl sie jetzt heftiger.
»Missi mir also nix vertrauen?« Fanny zuckte zusammen. Sein Ton klang genauso verächtlich wie vorhin, als er »Bastard« gesagt hatte. Er wandte seinen Kopf nicht von den Pferden.
»Missi«! John wollte sie offenbar für ihren Befehlston strafen. Er war gekränkt, das verstand Fanny. Sie bereute ihre scharfen Worte, doch sie wollte so nicht mit sich reden lassen.
»Nennen Sie mich bitte niemals Missi, sondern Fanny!«, forderte sie John auf. Erst zwei Augenblicke später wurde ihr klar, was sie gerade gesagt hatte, und sie biss sich entsetzt auf die Lippen. Sie hätte sich ohrfeigen können.
»Fanny?«, hakte er prompt nach und sah zu ihr hin.
»Das ist mein zweiter Vorname«, log sie und hoffte, John würde sie in Ludwigs Anwesenheit niemals so nennen. Johns Gegenwart machte sie unvorsichtig. Ihr Ehemann wäre entsetzt, wenn er davon erführe, dass sie dem Verwalter erlaubt hatte, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen. Was war nur in sie gefahren? Sie wartete
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