Der Duft des Anderen
streckte den Hintern etwas weiter raus. »Ich habe auch Vaseline da.«
»So ein Zeug brauchen wir nicht, wenn meine Dampframme in Aktion tritt, Junge.«
Na schön
, dachte Martin,
dir wird es wehtun, wenn du es trocken willst. Gib mir dann nicht die Schuld, wenn deine Ramme einen Knick bekommt.
Er spürte den heißen Atem des Mannes im Nacken, er war bereit für sein Eindringen, und in Gedanken summte er bereits den Rhythmus: ein Fick – fünfhundert, ein Fick – fünfhundert. Dann kam der Schmerz, heiß wie ein glühender Speer, und dann kam nur noch Dunkelheit.
Der Fremde nahm die fünf Hundertmarkscheine vom Tisch und verließ den Raum. Zwischen Martins Schulterblättern ragte ein Fleischermesser heraus, die Klinge war bis zum Heft hineingestoßen worden.
Auf dem Spiegel über dem Waschtisch stand, wie mit einem feinen Pinsel und roter Farbe hingemalt: »Du bist nicht der Letzte. A.K.« Es waren korrekt geschriebene Druckbuchstaben. Am nächsten Tag, als die Leiche von Martins Vermieter gefunden wurde, hatten die Buchstaben die Farbe von dunklem Rost angenommen.
Diesmal machte der Strichermord Schlagzeilen. Zum einen war ein Mord zur Weihnachtszeit etwas unanständiger als beispielsweise ein Mord im Oktober. Da lief jemand herum und tötete einen armen, drogensüchtigen Jungen in einer Zeit, wo den Menschen Friede auf Erden verkündet wurde. Zum anderen konnte die Nachricht auf einen Serienmörder hinweisen, der sich gerade angeschickt hatte, mit seiner Serie zu beginnen, das gab Stoff für die nächsten Wochen, und dass die Worte mit Blut geschrieben waren, war eine perfekt gruselige Dreingabe, die die Auflage steigern würde. Die Morgenpost schrieb: ›Wieder ein Mord im Strichermilieu.‹ Die BILD-Zeitung übertrumpfte mit: ›Siebzehnjähriger grausam ermordet.‹
***
Der graue Dezembertag empfahl sich mit Schneeregen. Barbara lief die paar Schritte hinüber zum Kiosk in ihrer Straße. »Guten Morgen, Frau Karsten.« Barbara kannte die rundliche Frau, seit sie hier wohnte. Heute hatte Frau Karsten eine rote Nase und sich ein Kopftuch umgebunden. »Guten Morgen, Frau Waszcynski. Scheußliches Wetter, was?«
Barbara hatte sich eine dünne Jacke übergeworfen, die zufällig am Garderobenhaken hing, und war in die sommerlichen Halbschuhe geschlüpft, die zufällig auf dem Flur standen. Fröstelnd trat sie auf der Stelle. »Ja, ekelhaft. Hoffentlich bekommen wir richtigen Schnee zu Weihnachten.«
»Von mir aus braucht es den Winter gar nicht zu geben«, sagte Frau Karsten. Sie hustete. »In meinem Alter spüre ich die Kälte immer schlimmer in den Knochen. Und bei diesem Wetter ziehe ich mir bestimmt wieder eine Grippe zu.«
»Eine Morgenpost, eine BILD-Zeitung und das Abendblatt«, sagte Barbara und zog einen Fünfzigmarkschein aus ihrer Börse.
»Ach, Frau Waszcynski, haben Sie es nicht kleiner? Das kann ich gar nicht wechseln.«
»Behalten Sie mal, Frau Karsten, es ist doch bald Weihnachten.« Barbara steckte schnell die Zeitungen ein. »Schönen Tag noch.« Sie lief rasch über die Straße, bevor Frau Karsten den Mund auftun konnte. Barbara waren Dankesbezeugungen peinlich.
Sie war froh, als sie wieder im Warmen war. Jetzt konnte sie einen Tee vertragen. Mit dem Bäcker hatte sie einen Brötchendienst vereinbart, die Semmeln hatten heute Morgen um sechs an der Klinke gebaumelt. Mit Tee und Marmeladenbrötchen machte sie es sich auf der Couch bequem und las die Zeitungen.
›Der Täter hinterließ seine blutige Visitenkarte. Wer ist A.K.?‹, fragte die BILD-Zeitung ihre Leser.
›Haben wir es hier mit einem Schwulenhasser zu tun?‹, mutmaßte die Morgenpost.
Das Hamburger Abendblatt brachte die Sache erst auf Seite 4. Es schrieb: ›Die Polizei prüft jetzt, ob es eine Verbindung zu dem Julimord an dem homosexuellen Frank S. gibt. Neues Licht wirft die Tat in der Langen Reihe auch auf das mysteriöse Verschwinden des Stephan F., eines in der Szene bekannten Homosexuellen, der ein einschlägiges Geschäft in der Talstraße betreibt.‹
Barbara lächelte dünn, trank den Rest ihres Tees und rief Robert Grünwaldt an. Sie vereinbarte für den Nachmittag mit ihm einen Termin im Möwenpick-Café in der Fußgängerzone Spitalerstraße.
Das Café überbrückte die hektische Meile, und von den Fenstern hatte man den besten Ausblick auf das vorweihnachtliche Treiben, deshalb war es überfüllt. Robert hatte es dennoch einrichten können, dass sie einen Fensterplatz bekamen. Seit jener
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