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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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sentimental.«

29
    Der Samstag des dritten Advents übertraf die vorhergehenden an Fülle, Hektik, Kaufrausch und Umsatz, zum einen, weil das Fest sich unbarmherzig näherte, zum anderen wohl auch deshalb, weil das Wetter zum Bummeln einlud. Es war ein frostklarer, sonniger Tag, und wer gute Winterkleidung und genügend Geld in der Tasche hatte, der konnte sich wie auf einem Teppich, gewebt aus Lichtern, Liedern und Düften, durch die Weihnachtsstimmung der Straßen und Kaufhäuser tragen lassen.
    Barbara besaß beides, genügend Kleingeld und gute Winterkleidung. Beispielsweise einen sündhaft teuren Kaschmirmantel und eine ebenfalls nicht billige und sehr kleidsame Fellmütze mit Ohrenklappen. Dazu blitzblanke, fellgefütterte Stiefel, innen mit Spezialeinsatz. Auch der Mantel war sorgfältig präpariert. Barbara hatte in mühsamer Näharbeit, was ihr gar nicht lag, so viele Polster an den richtigen Stellen eingenäht, bis man im Dämmerlicht annehmen musste, es käme einem ein großer, kräftig gebauter Mann entgegen. Mit eben dieser Spezialfütterung besaß sie noch einen mausgrauen Anzug, dazu eine Auswahl grauenvoller Krawatten, schillernd in allen Regenbogenfarben.
    An diesem Nachmittag wählte sie eine Grüne mit roten und gelben Punkten und packte sie mit Mantel, Mütze, Anzug und Stiefel in einen Koffer. Ein Fleischermesser, das sie gestern bei Karstadt in der Haushaltsabteilung gekauft hatte, legte sie dazu. In ihre Handtasche packte sie Schminkzeug, einen silbernen Ohrring, zwei silberne Fingerringe und einen kleinen Marderhaarpinsel, den man bei der Ölmalerei für die letzten Feinheiten verwendete. Dann nahm sie den Koffer und verließ als Barbara das Haus. Sie ließ ihren Wagen am Bahnhof Wellingsbüttel stehen und fuhr mit der S-Bahn bis zum Hauptbahnhof. Dort löste sie eine Karte für den Vorortszug nach Winsen/Luhe.
    Eine dreiviertel Stunde später erreichte sie den kleinen Ort im Süden Hamburgs. Der Zug war voll gewesen, die letzten Heimkehrer aus Hamburg. Barbara wartete, bis die Leute sich verlaufen hatten, dann verschwand sie ungesehen in der Herrentoilette. Nach einer Viertelstunde verließ ein gut gekleideter Herr mit Koffer das Örtchen und betrachtete eingehend den ausgehängten Straßenplan. Er sah auf die Uhr. Kurz nach sieben. Gegenüber entdeckte er eine Gaststätte. Er ging hinein und bestellte ein Bauernfrühstück und ein Mineralwasser. Anschließend bat er den Kellner, ihm eine Spesenquittung auszustellen. »Auf wessen Namen, bitte?«
    »Alexander Kirch.«
    »Selbstverständlich, wird sofort erledigt, Herr Kirch.«
    Barbara hatte noch einen kleinen Fußweg vor sich. Er führte sie an den Rand des Ortes, und weil es bereits dunkel war, hätte sie das Schild fast übersehen. Zum Glück wurde es von der letzten Laterne schwach beleuchtet: ›Haus Waldesruh‹. Darunter zeigte ein Pfeil die Richtung.
    Barbara hatte die Adresse einer Anzeige in einer Schwulenzeitschrift entnommen: ›Ein Bauernhof inmitten Wald und Wiesen gelegen. Junge Körper möchten dir gern gefällig sein, im Heuschober oder im Himmelbett. Genieße die Ruhe und lass dich verwöhnen. Komm auch du zum Haus Waldesruh.‹
    Der holperige Reim war es nicht, der Barbara bewogen hatte, dieses Haus aufzusuchen, es war seine Lage. Barbara musste vorsichtig sein, in der Hamburger Stricherszene konnte sie sich in ihrem Outfit nicht mehr sehen lassen.
    Sie befand sich auf einem Feldweg, der quer durch die Wiesen führte, es war stockfinster, und wenn sie nicht vorher angerufen hätte, so hätte sie geglaubt, das Haus sei geschlossen. Zum Glück sah sie bereits nach drei Minuten hinter einer Reihe kahler Pappeln Licht. Haus Waldesruh entpuppte sich als ein restauriertes Bauernhaus, über der modernen Glastür prangte in roter Leuchtschrift der Name.
    Es war inzwischen empfindlich kalt geworden. Sie war froh, als sie ins Warme kam. Ein hübscher, gelockter Bursche stand am Empfang. Er lächelte wie ein Rauschgoldengel. »Halloo«, rief er mit süßer Stimme, »ganz schön kalt heute, wie?«
    Barbara nickte. Sie nahm die Fellmütze ab und lachte den Jungen an, der schmolz dahin. Barbara trug keine Perücke, sie hatte ihr eigenes Haar zu einem Schwanz gebunden, wie Alexander, und sie trug silberne Ringe wie Alexander. Der Junge beugte sich über eine Liste. »Dein Name bitte?«, hauchte er.
    »Es hieß am Telefon, es läuft inkognito.«
    »Selbstverständlich. Ich brauche nur den Namen, unter dem du dich angemeldet hast, weil ich

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