Der Duft des Anderen
Stoffesel und lächelten für zehn Mark die Stunde, kalte Füße inbegriffen, in die Kamera. Manchmal stolperte man über einen Obdachlosen, zu Weihnachten lagen sie dicht an dicht, gepackt wie Sardinen. Die Rotweinflasche kreiste, und etwas von dem Weihnachtsgeld fiel auch in ihre Mützen.
In den Straßen rund um den Hauptbahnhof gab es viele, die hatten weder Mützen noch Weihnachtsgeld. Sie hatten hohle Augen und kalte Ärsche, und manche schoben schon seit Stunden einen Affen. Auf dem Steindamm standen hochbeinige hübsche Mädchen in den Hauseingängen mit blasierten Gesichtern, blau gefrorenen Knien und Röcken so kurz, dass man schlagartig an Nierenbeckenentzündung dachte. Die kleinen Stricher lungerten in der Wandelhalle des Hauptbahnhofs herum und auf dem Hachmannplatz bis hinunter zur Langen Reihe. Das Weihnachtsgeschäft ging mies, die Leute dachten an das kleine Jesuskindlein und wollten einen nicht in den Arsch ficken.
Martin lehnte fröstelnd an einem Kiosk in der Langen Reihe, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Er trug zwei Pullover übereinander, trotz des Schneematsches nur Turnschuhe, und trampelte vergebens, seine Füße wollten nicht warm werden. Erst einen Freier hatte er heute gehabt, lumpige dreißig Mark verdient mit einmal Blasen hinter der Mauer in einer zugigen Ecke. Immer weniger Menschen kamen vorbei, seit einer halben Stunde hatten die Geschäfte geschlossen. Aber Martin brauchte noch was. Sein Vermieter kassierte täglich die Miete für ein Zehnquadratmeter-Loch und war der Meinung, er hole die Jungen damit von der Straße. Martin sah hinüber zu dem ostasiatischen Antiquitätenladen, wo Udo stand, mit gekrümmtem Rücken, ebenfalls trampelnd. Martin überlegte, ob er hinübergehen und Udo um eine Zigarette bitten sollte. Seine Letzte hatte er vor einer halben Stunde geraucht. Doch dann sah er
ihn,
wie er die Straße herunterkam, den perfekten Freier. Er ging langsam, wo alles hastete, schlenderte, sah sich die Passanten an, besonders die jüngeren, sah in die Hauseingänge. Er war einigermaßen groß, schien gut gebaut, und er war gut gekleidet. Er war sogar verdammt gut gekleidet. Er trug einen langen, dunkelbraunen Kaschmirmantel, dazu Stiefel und eine todschicke lammfellgefütterte Wildledermütze mit Ohrenklappen. Er stank förmlich nach Geld und sah zudem verteufelt gut aus. Nur seine Krawatte war in Harlekinfarben gehalten.
Der sucht was Besseres als mich
, dachte Martin, schenkte dem Fremden aber trotzdem ein verheißungsvolles Lächeln.
Der Fremde blieb tatsächlich stehen. Seine Augen waren schwarz und funkelten wie Halbedelsteine. »Hallo, du stehst ja hier so allein in der Kälte.«
»Hallo.« Martin grinste. »Dabei habe ich eine warme Bude, aber ich bin so allein da oben.«
»Ist sie weit von hier?«
»Zwei Häuser weiter.«
»Dann lass uns doch hingehen und uns ein bisschen aufwärmen.«
Martin warf Udo einen triumphierenden Blick zu und marschierte voran. Wer mit nach oben kam, wollte mehr und zahlte mehr. Sie stiegen zum zweiten Stock hinauf, es roch nach kaltem Muff, Kerzenwachs und Hühnersuppe.
Martins Behausung bestand aus einem Bett, einem Nachttisch, einem Schrank und einem Waschtisch. Auf dem Fußboden lag ein durchgetretener Läufer. Das schmale Fenster ging auf den Hof. Auf dem Fensterbrett lag ein künstlicher Adventskranz mit vier unbenutzten Kerzen.
Der Fremde sah sich kurz um. Obwohl es warm war, legte er nichts ab. Aus der Manteltasche zog er ein Bündel Scheine. Es waren fünf Hunderter. Martin starrte sie an wie nie gesehene Artefakte.
Der Fremde lächelte. »Weil Weihnachten ist. Ich verlange nicht viel, nur das kalte Gemächt ein bisschen Warmbumsen, was hältst du davon?«
»Na klar«, grinste Martin, »bei der Kälte wird einem ja alles steif, nur das Wichtigste nicht.«
»Also los. Ausziehen, Gesicht zur Wand! Hände überm Kopf, Beine breit. Noch breiter, ich muss doch erkennen, wo der Eingang ist.«
Martin kicherte gutmütig.
»So ist es gut. Du hast ja richtig behaarte Eier, darauf stehe ich. Warte! Nicht umdrehen! Auf keinen Fall umdrehen, sonst verschwinde ich mit dem Geld, verstanden?«
»Ich bin hier festgewachsen«, versprach Martin.
»So, und nun wollen wir den kleinen Alexander mal ganz langsam herausholen – ja, der sieht schon ganz ordentlich aus. Ich weiß nicht, ob du so was Dickes verträgst.«
So ein Kerl hat Kohle ohne Ende, aber muss seinen Schwanz erst bequatschen, bevor er steht
, dachte Martin und
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