Der Duft des Anderen
Talstraße,
überlegte er, während er den Pappbecher mit beiden Händen umschloss.
Ist vielleicht noch zu früh, ich werde vorher das Café ›Cosima‹ besuchen.
Was hatte er bis jetzt herausgefunden? Es hatte sich bestätigt, dass Sascha mit Kunst zu tun hatte, wahrscheinlich mit Malerei. Ob sie selbst malte oder sich nur dafür interessierte, war nicht klar. Die Malerei konnte für sie ebenso eine obsessive Wunschvorstellung sein wie das Schwulsein. Und sie hatte vielleicht auch diesen Stephan auf dem Gewissen, eine Frau also, die keine Skrupel besaß, ihre fixen Ideen mit allen Mitteln durchzusetzen. Vielleicht war Stephan hinter ihr Geheimnis gekommen.
Jan sah auf dem Stadtplan, den er bei sich führte, fuhr die paar Stationen bis zum Hauptbahnhof und ging zu Fuß in das Café. Es war nicht so, wie er es befürchtet hatte, wobei er sich nicht klar war, was er eigentlich befürchtet hatte. Eine Zusammenrottung der Gäste zu einer Riesen-Anmache, sobald er durch die Tür kam?
Jan schlenderte am Kuchentresen vorbei in den rückwärtigen Raum, dabei spürte er, dass man ihm nachsah. Das Café war schwach besetzt, das Publikum gemischt, Männer, Frauen, und in der Ecke saß sogar ein älteres Ehepaar. Jan ging zurück und fand einen leeren Tisch gleich hinter dem Eingang. Er setzte sich mit dem Rücken zur Wand, sodass er den Eingang und den Tresen im Blick hatte. Vom Nachbartisch sahen zwei ungeniert herüber. Jan steckte seine Nase schnell in die Speise- und Getränkekarte. Aus der Karte erfuhr er, dass er sich an einem der Tische befand, die für die schwulen Gäste reserviert waren. Er blieb trotzdem sitzen. Ein junger, schlanker Kellner, rasierter Kopf, einen schmalen Silberring in der rechten Augenbraue, kam an seinen Tisch, wedelte unsichtbare Krümel von der Platte, um Jans Aufmerksamkeit zu erringen, und stellte einen neuen Aschenbecher hin.
Jan bestellte ein Käseomelett und ein Alsterwasser. Während er aß, beobachtete er interessiert die kommenden und gehenden Gäste. Er konnte keinen nennenswerten Unterschied zu anderen Cafés feststellen, aber er scheute sich, seine Blicke ungeniert schweifen zu lassen, weil er fürchtete, man könnte sie als Aufforderung verstehen.
So müssen sich Frauen fühlen
, dachte er.
Er blieb etwa eine Stunde, das Café begann sich zu füllen. Als er zahlte, gab er ein großzügiges Trinkgeld und sagte: »Ich suche einen gewissen Sascha, den Nachnamen weiß ich leider nicht. Dunkel, gut aussehend. Kommt der manchmal hierher?«
»Sascha?« Der Kellner überlegte. »So ein südländischer Typ? War mit Erich und Stephan bekannt?«
»Mit Stephan, ja.«
»Der war lange nicht mehr hier. Seit dem Sommer nicht mehr.«
»Wissen Sie was Näheres?«
»Über Sascha? Über den wusste niemand was. Außer vielleicht Stephan, aber der ist verschwunden.«
»Mit wem hatte sich Sascha denn sonst unterhalten?«
Toni, der Kellner, verzog das Gesicht. »Wieso möchtest du das denn wissen?«
»Ich bin ein Freund von Luigi Santini«, sagte Jan schnell. »Luigi meinte, Sie – du würdest Sascha besser kennen.«
»Der hat hier seinen Milchkaffee getrunken und manchmal stundenlang in den Magazinen geblättert, mehr weiß ich nicht.«
»Tagsüber?«
»Ja, am Anfang saß er von mittags bis abends allein, später hatte er mit etlichen Leuten Kontakt. Aber die wissen auch nicht mehr. Sascha war wie eine Knospe, verstehst du?«
Jan lächelte, nickte und bedankte sich. Es passte zusammen. Ein freiberuflicher Maler hatte tagsüber genug Zeit, in einem Café herumzusitzen. Da kam ein Mann an seinen Tisch, Jan schätzte ihn auf Ende dreißig, eine gepflegte Erscheinung, nicht sehr groß, kein graues Haar, wahrscheinlich getönt, wache, sympathische Züge. Sein Lächeln war weich und wie um Verzeihung heischend. »Entschuldigung, Toni sagte mir, Sie möchten etwas über Sascha wissen? Mein Name ist Erich Blume, ich habe ihn gekannt.«
Jans Miene erhellte sich, als sich erwies, dass es keine Anmache war. »Freut mich, mein Name ist Jan Matuschek. Nehmen Sie doch bitte Platz. Ja, ich brauche unbedingt seine wahre Identität. Sie wissen doch, dass er eine Frau ist?«
Erich nickte. »Das hat sich inzwischen herumgesprochen.« Er versuchte Jan dabei anzusehen, aber sein Blick flatterte ständig an ihm vorbei wie ein hilfloser Vogel, der nicht weiß, ob er sich auf diesem Zweig niederlassen darf. »Wer die Frau ist, das weiß ich leider auch nicht. Aber eins möchte ich gern klarstellen. Sie ist
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