Der Duft des Anderen
hochgezogenen Schultern, die Hände in den Hosentaschen, fröstelnd. Ein muskulöser, untersetzter Mann, ganz in Leder gekleidet, die Jacke offen, darunter ein Netzhemd, marschierte an ihm vorbei. Aus der rechten Gesäßtasche baumelte ein gelbes Tuch.
Jan streckte reflexartig die Hand aus. »Hallo, Sie verlieren gleich Ihr Taschentuch.«
Der Untersetzte wirbelte in einer geschmeidigen Bewegung herum. »Nicht zu fassen. Da greift mir doch einer an den Arsch, kaum dass ich zur Tür rein bin.«
Jan wurde dunkelrot, was ging ihn eigentlich dieser Kerl an? »Ich habe dir nicht – du verlierst dein Taschentuch, Kumpel.«
Der Mann sah nach hinten zu seinem Tuch, dann musterte er Jan eingehender. »Wie? Meinst du mein FLAG? Was bist du? Ein Außerirdischer, oder hast du dich in der Tür geirrt? Das gelbe Tuch hier bedeutet, dass ich gern angepinkelt werde.«
Jan verstummte vorübergehend. Der andere grinste.
»Ich muss mich entschuldigen«, stotterte Jan, »das habe ich nicht gewusst, ich bin nämlich nicht …«
Der Mann klopfte ihm auf die Schulter. »Also doch in der Tür geirrt? Hetero auf kleinem Reeperbahnbummel? Ist ja keine Schande.« Im Gehen drehte er sich noch einmal um. »Na? Nicht doch interessiert?« Er klopfte auf sein Tuch. »Ich steh auf Heten-Schwänze.«
»Nein, danke, vielleicht ein anderes Mal.«
»Klar doch. Auf Wiedersehen, Blondie.«
Jan schluckte noch, da kam der Hüne wieder, in Begleitung von Rudi. Rudi trug eine Lederhose, das Leder war vorn am Schritt und am Arsch ausgespart worden, darunter trug er Jeans. »Du möchtest mich sprechen?«
»Ich komme von Luigi, bin der Bruder von Joachim. Joachim von Stein.«
»Joachim kenne ich nicht, aber Luigi. Was gibt es denn?«
»Ich habe ein paar Fragen zu Sascha.«
»Dem Schnuckelchen, der in Wirklichkeit eine Frau war?«
Jan nickte.
»Ich nehme ihn kurz mit rein, fünf Minuten, okay?«, sagte Rudi zu dem Hünen. Der nickte.
Jan sah einen langen Tresen, Barhocker, Tische, Zigarettenqualm, von irgendwo dröhnte Heavy Metal. Martialische Poster an den Wänden, martialisch gekleidete Gäste, meist mit Schnurrbart, aber weiche Gesichter. Sie saßen oder standen herum, tranken und rauchten und benahmen sich wie Gäste jeder anderen Bar. Nur, dass einige, die wie Rudi gekleidet waren, keine Jeans und auch sonst nichts darunter anhatten, und dass sie sich bewegten, als seien sie Statisten in einem Stummfilm. Sie redeten wenig mit dem Mund, viel mit den Augen, und ihre Gesten waren wohl ausgewogen, als sei ständig eine Kamera auf sie gerichtet. Nicht alle, aber einige waren ebenfalls drauf und dran, ihre Taschentücher zu verlieren. Blaue, Rote und Gelbe. Jan wusste jetzt, es waren stumme Signale, eine Möglichkeit, sich ohne Worte über sexuelle Wünsche auszutauschen.
Praktisch
, dachte er und versuchte, seine Blicke unbeirrt auf einen freien Barhocker zu heften. Inmitten der Lederkerle fühlte er sich in seinen normalen Sachen nackter als die Unten-ohne-Typen. Rudi schwang sich neben ihn und grinste Jan unbekümmert an. »Warst du noch nie in einer Leder-Bar?«
»Ich bin nicht schwul«, murmelte Jan.
»Ach! Na macht nichts, ich bin tolerant. Einem Hetero gebe ich natürlich einen aus. – Was trinkst du – äh –?«
»Jan. Ich heiße Jan. Cola Bacardi.«
»Tom! Zwei Cola Bacardi. – Du möchtest also was über Sascha wissen? Glaube mir Jan, ich auch, ich auch. Dann wüsste ich vielleicht, was mit Stephan passiert ist. Du weißt das mit Stephan?«
»Ich habe davon gehört. Hat Stephan denn überhaupt nichts über Sascha erzählt? Er war doch in ihn verliebt?«
»Aber er hat ihn immer wieder abblitzen lassen. Da hat er sich wohl geschämt. Nur zuletzt, da muss es wohl doch noch gefunkt haben. Jedenfalls sagte er einmal, Sascha habe auf dem Boden ein Atelier, und da ginge die Post ab. Da kann er noch nicht gewusst haben, dass Sascha eine Frau ist. Aber ob Mann oder Frau, das war kein zartes Püppchen. Hardcore wollte er haben damals.« Rudi plusterte sich etwas auf. »Snuff! Verstehst du? Natürlich handeln wir nicht mit so was.«
Jan wusste nicht, was Snuff ist, aber er wollte sich nicht noch mehr blamieren. Ohnehin waren seine Gedanken plötzlich woanders. –
Nein, auf den Boden darfst du nicht, das ist mein Reich.
– Ihm wurde die Kehle eng. Und auf einmal wollte er nur noch hinaus aus dem Laden.
Als er wieder auf der Straße stand, blies ihm ein unangenehmer Wind entgegen und trieb eiskalte Regentropfen in sein
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