Der Duft des Anderen
keiner.«
Jan war ganz blass. »Nein, das kann ich nicht.«
»Du beginnst bei Luigi. Das ist ein sehr netter Italiener. Er wohnt bei seinen Eltern in der Bergstraße 15. – Herr Ober, noch zwei Bier!«
Jan musterte Joachim durch die Zigarettenschwaden hindurch, die das ganze Lokal verräucherten. Er wollte sagen, dass er sich weder überrumpeln noch bestechen lasse, doch da kam aus der Musikbox plötzlich etwas Schrilles, Madonna, vermutete Jan. Er verzog schmerzlich das Gesicht und begann, aus Bierdeckeln kleine Türmchen zu bauen.
Joachim schnippte dagegen. »Bergstraße 15, hast du es dir gemerkt?«
Jan nickte und stellte die Bierdeckel erneut auf. »Gut. Fangen wir bei dir an. Was weißt du über Sascha?«
»Gar nichts. Und wenn sie etwas gesagt hat, war es bestimmt gelogen.«
»Was zum Beispiel?«
»Als Beruf hat sie Kunstmaler angegeben. Und angeblich war sie auf zwei Vernissagen, wo sie aber niemand gesehen hat.«
»Moment. Sascha hat niemand gesehen. Vielleicht war sie als Frau dort?«
»Das wäre möglich, ja. Auf der Ersten war ich selbst. Mindestens die Hälfte der Besucher waren Frauen. Ehrlich gesagt, ich habe eher auf die Männer geschaut.«
»Gab es so etwas wie eine Gästeliste?«
»Nein, da bin ich ganz sicher. Und du, Jan? Kannst du dich auf dieser Hamburgausstellung an eine Frau erinnern, die besonders attraktiv war?«
Jan grinste. »Keine Einzige, alles gesetzte Damen, das weiß ich genau – außer Monika natürlich.« Und Barbara setzte er in Gedanken hinzu, aber die hatte selbst ausgestellt. Hübsch war sie und Kunstmalerin auch. Vielleicht etwas verschroben in ihren Ansichten über Männer und daheim eine liebenswürdige Chaotin. Aber eine dreifache Mörderin? Absurd!
»Überlegen wir weiter«, fuhr Jan fort. »Sie konnte sich euren Club leisten, nicht eben ein billiges Vergnügen, sie muss also vermögend sein.« –
Ist Barbara vermögend?,
ging es Jan dabei durch den Kopf,
oder lebt sie von ihren Bildern?
»Ja«, gab Joachim zu, »das ist anzunehmen. – Übrigens, sie kennt Grünwaldt, den Galeristen – behauptete sie. Den kannst du auch konsultieren. Schwul ist der nicht. Erinnere mich, dass ich dir die Adresse raussuche.«
Behauptet, Grünwaldt zu kennen. Barbara kannte Grünwaldt. Mit dem Mann hatte ihn Barbara auf der Hamburgausstellung flüchtig bekannt gemacht. – Logisch kennt Barbara Grünwaldt, sie malt, und er stellt sie aus. – Viele Mosaiksteine ergeben ein Bild! – Aber das Falsche. Mehr Steine! Anders zusammensetzen!
»Aussehen?«, fragte Jan und begann, sich Notizen auf dem Bierdeckel zu machen.
»Dunkelhaarig, braune Augen, aber was besagt das schon? Es gibt Perücken und Kontaktlinsen. Schließlich wollte sie wie Alexander aussehen. Wahrscheinlich ist sie in Wirklichkeit eine Blondine.«
Barbara ist dunkel
, dachte Jan.
Scheiße! Mach dich doch nicht verrückt. Barbara ist Monikas Freundin, sie kennt nicht einmal Joachim, geschweige denn Alexander. Oder doch? Reiß dich zusammen! Du bist in diese Frau verliebt, hoffnungslos verliebt, und deshalb denkst du ständig an sie, selbst, wenn es um diese schrecklichen Morde geht.
»Besondere Kennzeichen? Leberflecke? Goldzahn?«
»Ist mir nicht aufgefallen. Mein Gott, ich habe einmal mit ihr getanzt. Makellose Zähne, soviel ich mich erinnere, Leberflecke keine, wahrscheinlich weggeschminkt.«
»Ein Profi«, seufzte Jan, »Mal sehen, ob ich bei Luigi mehr erfahre.«
***
Jan hatte angerufen bei den Santinis und Luigi am Telefon gehabt. »Ich bin Joachims Bruder und müsste Sie dringend sprechen«, hatte Jan gesagt und mit Luigi einen frühen Termin um zehn Uhr verabredet, weil er den Tag nutzen wollte. Luigi kellnerte ab achtzehn Uhr in einem italienischen Restaurant und war tagsüber zu Hause.
Der Tag war grau, es sah nach Schneeregen aus, aber noch war es trocken. Jan war mit der S-Bahn nach Altona gefahren; in der Vorweihnachtszeit war die Suche nach einem Parkplatz mühsam. In dem unübersichtlichen Bahnhofsareal, das sich mit architektonischer Einfallslosigkeit allen Bahnhofsneubauten auf der ganzen Welt geschickt angeglichen hatte, sodass der Reisende sich nirgendwo heimatlos fühlen musste, fand Jan den Ausgang Bergstraße erst nach mehreren Irrläufen. In der Untertunnelung, die Jan durchqueren musste, verkauften Türken und Polen rote Plastikäpfel, Kerzen und kleine grüne Plastiktannen mit Kunstschnee.
Als Jan ins Freie trat, befand er sich in einer schon etwas angegrauten, belebten
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