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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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in Ordnung. Sie hat sich als Mann verkleidet, und viele in der Szene lästern jetzt darüber.« Erich führte die akkurat manikürten Finger abwesend an die Stirn. »Sie hat ihren Traum gelebt, ich finde das aufregend. Wissen Sie, es ist mein Beruf, mich zu verkleiden, auf der Bühne. Ich trete in Travestie-Shows auf. Mal als Frau, mal als Mann, wobei auch das nur eine Maske ist. In einem empfindsamen Menschen – ich möchte nicht Künstler sagen, das schließt so viele Menschen aus, aber vielleicht ist jeder empfindsame Mensch auch ein Künstler? – in einem empfindsamen Menschen schlummern hundert Charaktere und hundert Träume. Und wenn ich sie nicht auf der Bühne ausleben könnte …« Erich seufzte und strich sich anmutig über den Hinterkopf, »dann könnte ich das Leben nicht ertragen. Sascha hat ihre Empfindungen öffentlich gelebt, das verzeiht man ihr nicht.«
    Erich schwieg und legte seine Hände artig zusammen, als müsste er ihnen endlich einen Platz der Ruhe gönnen. Und weil Jan nichts sagte, fuhr er fort: »Tut mir leid, wenn ich Sie mit meiner Philosophie belästigt habe, aber ich finde, ich war es Sascha schuldig.«
    Jan legte ihm die Hand auf den Arm und fühlte, wie Erich zusammenzuckte. Er behielt sie trotzdem dort. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Worte, wirklich. Und glauben Sie mir, ich teile Ihre Meinung voll und ganz. Ich glaube, Sie sind ein wundervoller Mensch, Herr Blume.«
    Blume wurde dunkelrot. »Würden Sie Erich zu mir sagen?«
    »Erich, ich bin Jan!« Er streckte Blume die Hand hin. »Ich wünsche dir noch viele erfolgreiche Bühnenauftritte und ein erfülltes Leben.«
    ***
    Die Talstraße ging von der Reeperbahn ab, und Jan schlenderte die berühmte Straße erst einmal hinauf und hinunter. Im Nieselregen wirkte sie allerdings wie eine abgetakelte Hure. Die Talstraße schien völlig in schwuler Hand zu sein, Gay-Kinos und Saunas wurden überall angepriesen. Jan war froh, dass er von Luigi die Hausnummer hatte. An den schwarz gestrichenen Scheiben sah er sich nach allen Seiten um, atmete einmal tief durch und öffnete die Tür. So unbehaglich hatte er sich damals in der Normannenstraße nicht gefühlt.
    Er stand in einem Sex-Shop. Alles für Männer! Darin unterschied er sich nicht von gewöhnlichen Sex-Shops. Merkwürdig, dass es keine für Frauen gab, jedenfalls war Jan davon nichts bekannt. An den Regalen mit den Sex-Heftchen stand zwei Männer und sahen sich nach ihm um. Jan ignorierte sie. Ein pausbäckiger Engel, blond gelockt, stand am Verkaufstisch und fragte Jan, der etwas ratlos herumstand: »Kann ich dir helfen?«
    »Ich suche Rudi, Rudi Fichte. Der arbeitet doch hier?«
    »Rudi hat heute frei, ich bin die Vertretung. Kann ich dir vielleicht weiterhelfen?«
    »Kaum, es geht um eine Information«, sagte Jan etwas steif. »Wo kann ich Rudi denn erreichen?«
    »Ab sechs im Stiefelknecht, jetzt schläft er.«
    »Stiefelknecht? Ist das ein Lokal?«
    Der blonde Engel lächelte herablassend. »Eine Leder-Bar.«
    »Ach so.« Jan wusste nicht, was eine Leder-Bar war. Irgendwo schon, aber nicht so richtig, und es klang bedrohlich – jedenfalls für ihn. »Und die Adresse?«
    Der Engel nannte sie ihm, eine kleine Seitenstraße auf der Hafenseite. Jan bedankte sich. Er hatte noch drei Stunden Zeit. Um die Wartezeit zu überbrücken, ging er ins Kino. Es gab einen Film, in dem ein Mann eine Frau liebte.
Mal was anderes
, dachte Jan.
    Als er aus dem Kino kam, war es dunkel, und das Vergnügungsviertel strahlte in allen Regenbogenfarben. Die schmale, abschüssige Gasse, in der die Lederbar sein sollte, war dagegen ziemlich düster. Fast am Ende der Straße drang ein schwacher Lichtschein aus einem Kellerlokal auf die Straße, über dem Eingang war ein Stiefel abgebildet, von dem die halbe Neonbeleuchtung abgebrochen war, in geschwungener Schrift stand darüber »Der Stiefelknecht«.
    Also hinein ins Vergnügen!
, dachte Jan. Hinter einem roten Filzvorhang versperrte ein mit Ketten und anderen Klimpersachen behängter Hüne ihm den Weg. »Guten Abend, Fremder«, sagte er mit weicher Stimme, »Eintritt nur in Lederklamotten.«
    »Oh, das wusste ich nicht«, stotterte Jan und warf einen Blick in das halbdunkle Ambiente hinter dem geschmückten Hindernis. »Ich wollte auch nicht – ich suche jemanden.«
    »Wen denn?«
    »Den Rudi Fichte. Man sagte mir, ich könne ihn hier treffen.«
    »Augenblick, wenn er da ist, kommt er raus.« Der Hüne verschwand.
    Jan wartete mit

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