Der Duft des Anderen
Fußgängerzone. Er schlug den Kragen hoch und schob sich gemächlich durch das Gedränge. Das Haus Nr. 15 war ein dreistöckiger Bau aus der Vorkriegszeit, von dem die gelbe Farbe abblätterte. Vor der Haustür spielten zwei dunkelhaarige Mädchen. Die Haustür war offen. Jan stieg eine Treppe hinauf und klingelte bei Santini. Ganz wohl war ihm nicht.
Eine sizilianische Mamma wie aus dem Bilderbuch öffnete. Klein, rund, schwarzer Knoten im Nacken, freundliche Augen. »Ah, buon giorno, kommen Sie herein, Sie sind Freund von Luigi? Haben angerufen? Luigi ist im Wohnzimmer. Gehen Sie, gehen Sie durch.«
Jan errötete leicht. Wusste die Mutter Bescheid über ihren Sohn? Im Flur roch es nach Kaffee. Irgendwo zankten sich zwei Kinder auf Italienisch. Das Wohnzimmer war vollgestopft mit Möbeln, und die Möbel waren behangen mit Decken und Deckchen. Der hübsche Luigi saß mittendrin wie eine Nippesfigur. »Hallo«, sagte er und erhob sich. »Jan, nicht wahr?« Er reichte ihm die Hand. »Du siehst Joachim fantastisch ähnlich, wirklich fantastisch.«
»Nur äußerlich«, murmelte Jan und setzte sich auf die Decke, die die Sofadecke schützte.
»Es geht um Sascha, nicht wahr?« Luigi schüttelte den Kopf. »War ein tolles Ding damals. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen.« Er schlug sich leicht an die Stirn. »Wollten mir dann die Schuld geben, aber ich hab’s nicht gemerkt, niemand hatte es gemerkt.«
Jan nickte. Er kannte die Geschichte von Joachim in allen Einzelheiten. Luigi hatte ihn ganz spontan geduzt, also musste er es auch tun. »Du weißt, weshalb ich unbedingt Saschas Identität herausfinden muss?«
»Keine Ahnung. Aber wie auch immer, ich kann dir bestimmt nicht helfen. Damals, als die Sache mit Manrico war, da habe ich auch nichts sagen können.«
»Die Sache mit Manrico? Welche Sache war das?«
Luigis Mutter kam herein, auf dem Tablett zwei dampfende Kaffeetassen und selbst gebackenen Kuchen. Dazu wurde ein herzliches Lächeln serviert.
Jan errötete. »Frau Santini, das …«
»Von gestern, aber noch frisch, sehr gut. Probieren.«
Jan warf Luigi einen nervösen Blick zu, der hatte sich aber schon ein Stück Kuchen genommen und sagte: »Manrico, das war, als Stephan plötzlich verschwunden war. Er ist übrigens immer noch verschwunden.«
Die Mutter klemmte sich das Tablett unter den Arm. »Sie sehr hübscher Mann. Andere Freunde von Luigi oft hässlich. Lang, dünn, große Nase.« Sie lachte. »Schon lange Freund mit Luigi?«
»Mama, das ist nur ein flüchtiger Bekannter«, sagte Luigi. »Bitte, lass uns allein.«
»Hübscher Mann, hübscher Mann«, sang sie, als sie das Zimmer verließ. Luigi verzog keine Miene. »Stephan war in Sascha verknallt, und irgendwann scheint es mit den beiden auch geklappt zu haben.«
»Geklappt? Hat Stephan es denn gewusst?«
»Dass Sascha eine Frau war? Nein, und wenn, hat er uns das nicht gesagt. Ich meine, wenn er bi gewesen wäre, dann hätte er uns das nicht so gern auf die Nase gebunden.«
»Die beiden hatten also ein Verhältnis, und dann war Stephan plötzlich verschwunden? Was ist denn daraus geworden? Hat man nicht die Polizei benachrichtigt?«
Luigi erzählte, wie es gewesen war. »Heute gilt Stephan als vermisst, weil seine Leiche nicht gefunden wurde. Jedenfalls glauben wir alle, dass er ermordet wurde.«
»Von Sascha?«
»Also, das glaube ich eigentlich nicht, aber könnte sein. Auch Frauen morden manchmal. Ja, und Stephan war der Einzige, der sie genauer kannte, verstehst du?«
»Hat Sascha, hat sie denn nichts Privates von sich erzählt?«
»Nur, dass er – verdammt, dass sie an der Kunstakademie studiert und dass sie erst kürzlich nach Hamburg gezogen sei.«
»Wo hat Stephan sie denn kennengelernt, weißt du das?«
»Im ›Cosima‹, das ist ein Schwulen-Café in der Langen Reihe.«
»Und der Stephan, der hat keinem seiner Freunde Näheres über diese Beziehung erzählt?«
»Nein. Zuerst kam er wohl nicht zum Zuge bei ihr, und am Schluss tat er sehr geheimnisvoll. Frag doch Rudi, seinen Geschäftspartner, vielleicht weiß der was.«
Jan nickte, trank seinen Kaffee aus und bedankte sich.
»Worum geht es denn eigentlich?«, fragte Luigi, als Jan schon in der Tür stand.
»Um Mord, Luigi, wieder einmal um Mord.«
***
Als Jan vor die Tür trat, war es halb zwölf, und es hatte angefangen zu nieseln. Er lief die paar Schritte zum Bahnhof und wärmte sich erst einmal bei McDonald’s und einem heißen Kaffee auf.
Rudi in der
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