Der Duft des Anderen
Ihres Namens geschämt. Von Stein, ha, ha, von Stein!« Sein Lachen verklang im Hausflur.
Maria lehnte sich zitternd an die Tür. Dann ging sie mit festen Schritten in die Küche. Ihr Kaffee war kalt geworden. Sie setzte sich an den Tisch und starrte auf das Kreuzworträtsel. »Er weiß nichts«, murmelte sie, »er kann nichts wissen.« Sie trank den kalten Kaffee in kleinen Schlucken und schüttelte sich. Dann zog sie aus der Tischschublade einen Block hervor und notierte: Jan – morgen? Daneben schrieb sie: Kaffeemaschine. Sie heftete den Zettel an ihre Pinnwand.
12
Es regnete. Barbara hatte sich mit nassen Haaren zu McDonald’s geflüchtet und saß dort bei einem Cheeseburger und einer Cola. Am Tisch gegenüber saß ein übergewichtiger, junger Mann mit rotem Gesicht, seine fetten Schenkel klafften auseinander und quollen zu beiden Seiten über den Plastikstuhl. Er starrte sie an, während er mit den Zähnen die Reste einer dünnen Frikadelle aus seinem weichen Brötchen zog. Als Barbara sein Starren erwiderte, legte er seine kurzen, dicken Finger in den Schritt und kratzte sich. Barbara verlor das Machtspielchen, sie guckte weg, rot vor Ärger. Ihr Gegenüber fasste das als Ermutigung auf, offensichtlich hatte er sein Kratzen für erotisch gehalten. »Schöne Frau, darf ich Sie zum Kaffee einladen?« Er wälzte sich auf sie zu, in der einen Hand sein Brötchen, die andere nach dem freien Stuhl an ihrem Tisch ausgestreckt. Barbara kippte vor so viel Unverschämtheit fast mit dem Stuhl um. »Verschwinden Sie, aber sofort!«, zischte sie.
Obwohl man annehmen sollte, dass der Mann des Deutschen mächtig war, verstand er ihre klaren Worte als Aufforderung, sich zu setzen. »Sie sind ja richtig nass geworden, schöne Frau.«
Barbara stand auf und ergriff die Flucht vor so viel Frechheit. »Wenn ich so aussehen würde wie Sie, würde ich einen Schador tragen«, giftete sie im Gehen.
»Was für ’n Ding?«
Sie hörte es nicht mehr.
Der Regen klatschte ihr ins Gesicht, und Barbara war in Stimmung, im Vorbeigehen ein paar unschuldige Passanten vor die Schienbeine zu treten.
Einem Mann wäre das nicht passiert, der säße jetzt immer noch im Trockenen
, überlegte sie. Natürlich hätte sie dem Dicken eine Ohrfeige verpassen können, doch wofür? Weil er sie zum Kaffee einladen wollte? Das war schließlich noch nichts Obszönes – nein! Die Situation war obszön gewesen. Barbara fühlte sich beleidigt und angewidert.
Wäre ich fett, hätte schmieriges Haar, ein rotes, aufgedunsenes Gesicht und Wurstfinger, wäre ich dann auf einen jungen Mann zugegangen, der aussieht wie – sagen wir Robert Redford und hätte ihn zum Kaffee eingeladen? Sie mochte sich gar nicht erst vorstellen, wie Robert Redford darauf reagiert hätte. Jedenfalls wäre er nicht hinaus in den Regen gestürzt.
Barbara besah sich beim Vorübergehen flüchtig in einem Schaufenster. Nass wie eine Katze. Verregnet sah man immer ein wenig traurig aus, oder machte das ihr mürrisches Gesicht? Barbara wollte weder unscheinbar noch hässlich sein. Sie wollte funkeln wie ein Diamant.
Im ›Blue Velvet‹ hatte sie gelodert wie dürres Holz, doch wie dürres Holz rasch verbrennt, waren auch ihre Hoffnungen an jenem Abend zu Asche geworden. Stephan! Sie wollte seinen Körper dicht an ihrem spüren, sein Verlangen nach Mann kosten. Im Moment würde ihr auch schon genügen, im Café ›Cosima‹ zu sitzen und die heimlichen Blicke der Männer aufzusaugen, die einem geheimnisvollen jungen Mann galten, der scheinbar in seine Zeitung vertieft war. Weshalb war er immer allein? War er unnahbar? Unerreichbar?
Stephan hatte diese Schranke durchbrochen, was für eine unwiderstehliche Verlockung! Sie war ihr gefolgt, und nun durfte sie es nicht einmal wagen, im Café ›Cosima‹ einen Milchkaffee zu trinken. Selbst diese kleine Freude hatte sie sich selbst kaputtgemacht. Natürlich gab es noch andere Schwulencafés, aber überall bestand die Möglichkeit, dass Stephan auftauchte.
GAYKINO! DARKROOMS! SAUNA! Grelle Buchstaben verkündeten, welche Freuden hinter der unscheinbaren Eingangstür und den schwarz gestrichenen Fensterscheiben auf die Gäste warteten. Barbara starrte auf die Hausnummer. Sie stand vor Stephans Laden. Keine Sorge, er würde dich so niemals erkennen, beruhigte sie sich. Trotzdem, es war verrückt. Ihre Füße hatten sie gegen ihren Willen hierher getragen – aber wusste sie überhaupt noch, was sie wollte? Wusste sie, wie weit sie
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