Der Duft des Anderen
werden wolle. Da seine Eltern Hamburg, das Sodom und Gomorrha des Nordens, nicht besuchen wollten, und die Freundin Tag und Nacht studierte, war bisher ein Zusammentreffen leider nicht zustande gekommen. Vorsichtshalber hatte Andreas ihnen aber doch mitgeteilt, dass er aus finanziellen Gründen mit einem netten Studiosus eine Wohnung teile. Keuschheit und Sparsamkeit, Andreas wusste, womit man seinen alten Eltern Freude bereitet.
Im Wohnzimmer der gemütlichen Dreizimmerwohnung stand die ›Tafel‹, ein langer Tisch, der bei Bedarf noch ausgezogen werden konnte. Drum herum in buntem Durcheinander verteilt: Sessel, Stühle und Sitzkissen, die wieder in die Ecken kamen, wenn der Besuch gegangen war.
Andreas stand in der Küche und machte einen bunten Eintopf, in dem er alle Zutaten verwendete, die die Jungs zum Treffen mitbrachten. So konnte sich niemand beschweren, wenn es nicht schmeckte. Aber es schmeckte immer.
Kai und Andreas wussten nie genau, wer kam, einige, die zusagten, kamen dann doch nicht, andere erschienen ganz überraschend, auch manche, die sich schon wochenlang nicht hatten blicken lassen, und manchmal wurden auch Neue mitgebracht, was immer ganz besonders positiv vermerkt wurde.
Stephan und Barbara wurden von Kai an der Haustür begrüßt. »Sind wir die Ersten?«
»Nein, nein, der harte Kern ist schon da.«
Stephan machte sie miteinander bekannt, und Barbara grüßte mit heiserem »Hallo«. Alle gaben ihr höflich die Hand und lächelten wie gut erzogene Knaben. Einen Neuen wollte man nicht verschrecken, er sollte ja wiederkommen.
»Das ist Richard, unser Poet. Wenn er nicht gerade für sein Jurastudium büffelt, schreibt er Gedichte.« Ein schlanker Mann mit weichen Gesichtszügen, braunem Haar, braunem Anzug und gelber Krawatte, erhob sich.
Barbara lächelte. »Die darf ich doch auch einmal lesen?«
»Rudi, meinen Partner, kennst Du ja schon«, wies Stephan auf den nächsten.
»Hallo Rudi«, sagte Barbara. Rudi nickte ihr zu.
»Und hier haben wir Luigi, den zweitschönsten schwulen Italiener in ganz Hamburg.«
Luigi kannte den Witz schon und lachte brav. Natürlich fragte Barbara, wer denn der Schönste sei.
»Der schöne Manrico«, sagte Stephan. »Vielleicht bist du ihm sogar schon im Café ›Cosima‹ begegnet.«
»Unmöglich, soviel Schönheit wäre mir doch aufgefallen, nicht wahr?«
»Der hält sich doch bloß selber für den Schönsten«, bemerkte Luigi schulterzuckend. »In den Club, wo ich an der Bar arbeite, da müsstest ihr mal hinkommen. Da gibt es Kerle, denen könnte man glatt die Füße küssen.«
»Ach Luigi«, sagte Stephan, »gib doch nicht immer mit deinem exklusiven Club an. Wer weiß denn, ob diese Wunderknaben wirklich so toll sind. Du kannst uns viel erzählen.«
Barbara nahm neben Luigi Platz, während Stephan die mitgebrachten Getränke zu Andreas in die Küche brachte. »Was ist denn das für ein Club?«, wollte Barbara wissen.
»Alles gut betuchte Leute, die ihr Schwulsein nicht gern nach außen tragen. Na ja, die Trinkgelder sind Spitze.«
»Könnte ich da auch beitreten?«
Luigi zuckte die Schultern. »Was willst du denn bei einem so elitären Haufen? Die sind so was von langweilig.«
»Lade sie doch mal zu unserer Hausparty ein«, sagte Kai. »Wir sind auch ganz diskret und plaudern nichts aus, nicht wahr?« Er sah in die Runde, alle nickten ernsthaft.
»Was machst du denn so beruflich, Sascha?«, fragte Richard.
Barbara hatte sich diese Antwort schon vorher zurechtgelegt. »Ich studiere Malerei an der Kunstakademie.«
»Ah ja«, sagte Richard, und Rudi fragte: »Kann man denn von der Malerei leben?«
Stephan kam zurück und setzte sich neben Barbara. »Ach, du studierst Kunst, das wusste ich ja noch gar nicht.«
Die nächsten zehn Minuten vergingen mit neugierigen Fragen, die Barbara souverän beantwortete, solange sie nicht verfänglich waren. Bis Luigi fragte: »Sag mal, stimmt es, dass du noch jungfräulich bist?«
»Immer diese intimen Fragen«, sagte Kai. »Was soll denn Sascha von uns denken? Dass wir nur an Sex interessiert sind?«
»Genau, der arme Junge kommt ja nie wieder, wenn er so was von uns denken muss«, grinste Rudi. »Dabei sind Kais Abende eine rein kulturelle Veranstaltung.«
»Und wenn ich es noch wäre, müsstest du es mir glauben. Nachweisen kann ich es ja schlecht«, sagte Barbara.
»Was meint ihr, lässt sich das irgendwie nachweisen?«, fragte Richard in den Raum.
Bevor die anatomischen Erörterungen losgehen
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