Der Duft des Anderen
»Um elf muss ich bei Monika sein. Wir haben noch gute zwei Stunden.«
»Nichts da!«, unterbrach ihn Alexander. »Heute Abend gehen wir zu mir. Du rufst Monika an und sagst ihr, du kämst erst morgen, hast ein Flugzeug versäumt oder so.«
Joachim seufzte. Er liebte Alexander, aber seine Besitzansprüche und seine Eifersucht machten ihm das Leben schwer. Schließlich war er mit Monika verheiratet und musste dieser Ehe wenigstens zu einem kleinen Teil gerecht werden. »Das geht nicht, Alexander. Monika wird sich erkundigen und herausbekommen, dass es nicht stimmt.«
Alexander lehnte sich zurück, prüfte den Inhalt der Cognacflasche und schenkte sich noch einmal ein. »Du überschätzt dein holdes Weib maßlos. Erstens, weshalb sollte sie das überprüfen? Sie hat keinen Grund, misstrauisch zu sein. Zweitens, wie soll sie das feststellen? Und drittens, und da komme ich zu dem entscheidenden Punkt, hat dein treues Weib dich ganz schamlos betrogen. Monika hat einen Liebhaber.«
Joachim lachte. »Das glaube ich nie.«
»Hast du einen Zwillingsbruder?«
Joachims Augen wurden groß. »Ja – habe ich«, stieß er mit Verzögerung hervor. »Dieser Mann, ich meine, mein Bruder, du meinst – er und Monika?«
Alexander tätschelte Joachim die Hand. »Rege dich doch nicht auf. Besser kann es für uns nicht laufen. Ich habe das Original, sie die Kopie, und alle sind zufrieden, nicht wahr?«
Joachim kramte in seiner Tasche. »Du erinnerst dich an diese Sache mit dem Doppelgänger? Der ist kurz vor meinem Abflug bei mir zu Hause aufgetaucht. Ich habe ihm kein Wort geglaubt, aber dann kam das.« Joachim reichte Alexander einen Brief. »Hier, lies. Ich habe von unterwegs meine Mutter angeschrieben, und das hat sie geantwortet.«
Alexander las die steile, säuberliche Handschrift auf Bütten mit dem Wappen derer von Stein:
Lieber Joachim,
auf Deine Anfrage teile ich Dir mit: Ja, Du hast einen Zwillingsbruder. Glaube mir, ich hatte keine andere Wahl. Es waren einfach schreckliche Zeiten. Wie unangenehm, dass diese unselige Angelegenheit von damals nun ans Licht gezerrt wurde. Natürlich habe ich mich erkundigt. Diese Person, bei der Dein Bruder aufgewachsen ist, hat offensichtlich nicht schweigen können. Hätte ich es geahnt, hätte ich ihr Geld angeboten. Dein Bruder ist nicht standesgemäß aufgewachsen und passt nicht in unsere Welt. Gib ihm Geld und wünsche ihm einen guten Tag. Diesen Rat gibt Dir Deine Mutter.
Luise von Stein
Alexander ließ den Brief sinken. »Was für eine liebevolle Mutter! Aber ich gebe dir einen anderen Rat.« Er lächelte wie eine Sphinx. »Du solltest Jan dein bestes Gästezimmer anbieten.«
Joachim steckte den Brief wieder ein. »Jan ist also nicht abgereist? Er wohnt noch bei ihr?«
»Scheint so.«
Joachim ließ sich Alexanders Worte durch den Kopf gehen. Obwohl er ihm recht geben musste, machten ihm Monikas Untreue und die Dreistigkeit seines Bruders zu schaffen. Schwul oder nicht, er war ein Mann, und ihm waren Hörner aufgesetzt worden. Dass er selbst Monika mit Alexander betrog, zählte nicht. Konnte man eine Frau überhaupt mit einem Mann betrügen?
Alexander sah ihn ungeduldig an. »Na, was ist? Ruf sie an!«
Eine ganze Nacht mit Alexander! Und in seiner Wohnung!
Joachim hatte sich einen Quickie im Büro vorgestellt, danach ein Essen um die Ecke beim Chinesen. Dabei immer auf die Uhr sehen, gestohlene Zeit. Ich muss jetzt gehen. Ohne Kuss natürlich. Sich verabschieden von dem Mann, den er sechs Wochen nicht gesehen hatte. Am nächsten Morgen im Büro ganz nah bei ihm sein und doch so weit entfernt. Durchsprache des Berichtes aus Semipalatinsk mit zwei weiteren Kollegen am runden Tisch. Alexander die Kaffeetasse hinüberschieben oder ihn um einen Kugelschreiber bitten, vielleicht berührten sich dabei ihre Hände.
Und nun eine ganze Nacht in seinen Armen! Nur in seinen Armen? Teufel noch einmal, wäre das langweilig! Joachim grinste vor sich hin. Wenn Alexander richtig in Fahrt kam, wusste man manchmal nicht mehr, ob man noch Arme hatte.
»Ja, ich rufe Monika an. Aber sag mal, woher weißt du denn das mit meinem Bruder?«
Alexander griff nach hinten und reichte Joachim den Hörer. »Wir haben einen Neuen im Club, der behauptet, dich von einer Vernissage zu kennen. Und ausgerechnet der kennt auch deine Monika.«
»Was? Monika kennt einen schwulen Mann? Das glaube ich nicht.«
»Ist aber so. Du kannst den Jungen selber fragen, wenn du in den Club kommst. Wahrscheinlich
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