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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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einen Triumph verwandeln würde. Sie brauchte diesen Triumph, um ihn mit nach Hause auf den Dachboden zu nehmen. Ihre Finger schlossen sich um den Griff.

19
    »Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, dann mache ich jetzt Feierabend, Herr Professor«, sagte Frau Lorenzen, während sie ihren Kopf durch den Türspalt steckte.
    Alexander Kirch schien in einige Unterlagen vertieft, die auf seinem wuchtigen Schreibtisch lagen. Er hob nicht den Kopf. »Ja, sie können gehen, Frau Lorenzen. Schließen Sie Ihr Büro nicht ab, ich bleibe noch etwas länger.«
    Wie immer
, dachte Frau Lorenzen. »Schönen Feierabend, Herr Professor«, sagte sie und zog leise die Tür zu. Niemals hatte sie ihren Chef sagen hören: ›Wünsche ich Ihnen auch, Frau Lorenzen.‹ Und nie hätte sie sich erlaubt, im Gehen noch eine scherzhafte Bemerkung zu machen, wie: ›Arbeiten Sie man nicht zu lange, Herr Professor.‹ Mätzchen nannte der Dompfaff so etwas.
    Frau Lorenzen sah auf die Uhr. Kurz vor sieben, wieder zwei Überstunden gemacht. Das wurde erwartet, ein Dankeschön gab es nicht, allerdings wurde alles vergütet mit Zuschlägen, wie es üblich war. Ja, korrekt war der Herr Professor!
    Alexander Kirch sah aus dem Fenster und beobachtete, wie Frau Lorenzen das Haus verließ. Eine tüchtige Sekretärin und so beruhigend unattraktiv, was Alexander zu schätzen wusste. Sie kam gar nicht erst auf den Gedanken, ihren Chef anzuhimmeln. Eine Frau Lorenzen wusste, wo ihr Platz war, schöne Frauen vergaßen das leider zu oft. Heute war Alexander Kirch mit seinen Gedanken nicht bei dem bescheidenen Aussehen seiner Sekretärin. Er freute sich auf das strahlende Lächeln Joachims. Seine Maschine musste bereits gelandet sein, und in spätestens einer Stunde würden sie sich wieder sehen. Monika glaubte, Joachim käme mit der Zehnuhrmaschine und erwartete ihn erst gegen elf.
    Alexander ging auf den Flur und schaute in die Büros. Alle Mitarbeiter hatten die Firma verlassen. Zufrieden kehrte er in sein Eigenes zurück. In seinem Schreibtisch stand eine Flasche Cognac für Gäste, Alexander bevorzugte Wodka, aber jetzt genehmigte er sich ein Glas. Unruhig zupfte er an seiner Krawatte, dunkelgrün mit gelben Punkten. Sie gehörte zu seinen dezenten Stücken, aber was für eine Farbzusammenstellung er auch wählte, ihn kleidete jede. Jetzt beengte sie ihn, und er freute sich auf den Augenblick, wo er sich das garstige Stück vom Hals reißen konnte.
    Stumm schaute er durch die großen Fenster hinunter auf den Feierabendverkehr. Dann sah er das Taxi, er sah Joachims schimmerndes Haar, die vertraute Geste, wie er es aus der Stirn strich, als er dem Taxifahrer das Geld gab. Zwei Minuten später ging die Tür auf, und Joachim stand da, in der Hand eine schwarze Dokumententasche. »Druschba, Alexander.«
    Alexander erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam auf Joachim zu. »Lass die Tasche fallen, Gospodin, und umarme mich!«
    Joachim lachte wie ein großer Junge. »Und mein irrsinnig wichtiger Bericht aus Semipalatinsk? Willst du dir den nicht erst durchlesen?«
    Alexanders Lippen verschlossen ihm den Mund, Joachim ließ die Tasche polternd fallen und umarmte seinen Freund. Lange standen sie so wie zusammengewachsen. Frau Lorenzen hätte sich über diese Begrüßung von Steinchen sehr gewundert, den sie natürlich erst morgen früh erwartete.
    »Ich war ein Dorftrottel, ausgerechnet dich nach Moskau zu schicken«, flüsterte Alexander Joachim ins Ohr, obwohl ihn niemand hören konnte. »Sechs Wochen ohne dich, das war schlimmer als ich dachte.«
    Sie lösten sich voneinander, und Joachim hob die Tasche auf. Er legte sie auf den Schreibtisch. »Du hast doch den Club gehabt«, spottete er gutmütig. Er setzte sich an den runden Tisch, wo manchmal kleinere Konferenzen abgehalten wurden. »Hat die Lorenzen noch Kaffee aufgehoben? Du, der in Russland ist das reinste Erdöl.«
    Alexander nahm die Cognacflasche und setzte sich zu ihm. »Nichts mehr da, trink einen Schluck hiervon. Wie sind sie denn, die Pjotrs und die Igors, hm?«
    »Göttlich. Und Mutationen hatten die, so groß.« Joachim breitete die Arme aus. »An den richtigen Stellen, versteht sich.«
    »Hast du auch von dieser erfreulichen Strahlendosis was abgekriegt?«
    Joachim lachte. »Wart’s ab. Im Ernst, bei den Russen ist das Eideidei strafbar. Ich gehe noch für einen Hetero durch, aber Rosalie hätte da ihre Schwierigkeiten, wie?« Joachim leerte das Glas Cognac in einem Zug. Dann sah er auf die Uhr.

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