Der Duft des Blutes
Die Gegenwehr versiegte. Mit offenem Mund starrte ihn die Kommissarin an. Ohne Hast entfernte er den Schal und hob ihren Kopf ein wenig an. Der Körper unter seinen Händen bebte, doch das störte ihn nicht. Genüsslich ließ er seine Zähne durch ihre Haut gleiten, bis er auf eine Ader traf und das Blut zu sprudeln begann.
Er legte den schlaffen Körper auf eine Bank am Wasser. Zwei Schwäne, in ihrer nächtlichen Ruhe gestört, reckten die Flügel und schüttelten ihr Federkleid. Sie streckten die Hälse vor, um zu sehen, ob ihnen Gefahr drohte, doch das seltsame dunkle Wesen kam nicht näher, sondern drehte sich um, kaum hatte es sich seiner Last entledigt, und verschwand in der Nacht. Beruhigt steckten die Schwäne ihre Schnäbel wieder unter die Flügel und schlössen die Augen.
Peter von Borgo schlenderte zurück in die lärmende Stadt und bog in Hohenfelde in den Graumannweg ein. Er öffnete die Haustür des trosüosen Klinkerbaus und blieb dann im dunklen Flur stehen. Oben rauschte Wasser, hinter der rechten Wohnungstür lärmte ein Fernseher, ein Kind weinte. Peter von Borgo prüfte die Gerüche, die ihm in die Nase stiegen. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Sabine war hier gewesen. Es konnten kaum zwei Stunden vergangen sein. Was hatte sie hier gewollt? Noch einmal sog er tief die Luft ein und ließ sie dann ganz langsam entweichen. In seinen Gedanken sortierte er die verschiedenen Spuren. Plötzlich riss er die Augen auf, dass sie in der Dunkelheit rot aufblitzten. Mit zwei schnellen Schritten war er an der Tür mit dem Schild Böreck neben der Klingel. Ein paar Wimpernschläge später öffnete er sie leise.
Es brannte kein Licht, doch aus dem Wohnzimmer flackerte der bläuliche Schein des Fernsehers. Der Vampir musste nur seiner Nase folgen, schon stand er vor dem alten Ohrensessel, in dem Frieda Böreck saß. Ihr Kopf war zur Seite gefallen. Mit blutunterlaufenen Augen starrte sie zu dem nächtlichen Besucher hoch. Das Spitzendeckchen, das den Polsterbezug des Sessels schützen sollte, war verrutscht und halb über die akkuraten grauen Locken geklappt, ihre Arme hingen schlaff herunter. Sacht strich der Vampir über die faltige Schläfe, dann hob er prüfend die Hand ein wenig an. Es war wohl vergangene Nacht gewesen, als sie ihr Leben unter den kräftigen Händen um ihren Hals ausgehaucht hatte. Peter von Borgo lächelte versonnen. War es nicht wieder an der Zeit, die Kommissarin anzurufen? Er warf einen Blick auf die Wanduhr. Noch nicht einmal Mitternacht. Nein, das war zu früh. In Gedanken versunken verließ er die Wohnung und zog die Tür hinter sich zu. Im Park am Krankenhaus St. Georg stärkte er sich an einem jungen Mann, dann schlenderte er zur Langen Reihe.
Wie wäre es mit einem kleinen Brief an ihrem Bett? Und dann ein wenig am Telefon plaudern?
Es brannte kein Licht mehr. Er wartete noch eine halbe Stunde, dann schritt er die Treppe hoch. Es gab ein neues Schloss und einen Riegel. Ein mitleidiges Lächeln verzog seine Lippen. Welch sinnloser Versuch, ihm den Weg zu verwehren! Ihm, der seit mehr als dreihundertfünfzig Jahren jede Nacht ruhelos durch Stadt und Land zog! Der Vampir schloss die Augen und begann leise vor sich hin zu summen.
Dunkel und still lag der Flur da. Aus der geöffneten Schlafzimmertür erklangen ein Murmeln und das Rascheln der Bettdecke, als plötzlich rötlich schimmernder Nebel unter der Wohnungstür hervorquoll. Wabernd, mal dichter, mal dünner, kroch er über den Laminatfußboden bis ins Schlafzimmer. Erst noch formlos, begann er zusammenzufließen, verdichtete sich, bis kein Blick ihn mehr durchdringen konnte, um dann zu verblassen. Die letzten Nebelschwaden verwehten und enthüllten die große, sehnige Gestalt, die kurz zuvor aus dem Treppenhaus einfach verschwunden war.
Eine Weile betrachtete er Sabine. Wie ein Tier hatte sie sich zusammengerollt, das Kissen fest an ihre Brust gedrückt. Sanft strich er ihr über die Wange. Sie rührte sich nicht. Dann ging er ins Arbeitszimmer hinüber, setzte sich an den Schreibtisch, griff nach einem Stift und ließ ihn schwungvoll über ein weißes Blatt gleiten. Er faltete den Brief sorgsam zusammen und schrieb ihren Namen darauf. Suchend sah er sich um. Wo sollte er ihn hinlegen? Am besten ins Schlafzimmer! Auf dem Nachttisch lagen drei Bücher: Der große Opernführer, Nathan der Weise und Viel Lärm um nichts. Der Vampir lehnte das Schreiben gegen die Bücher und flüsterte:
„Wir werden uns prächtig
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