Der Duft des Blutes
Griff der Pistole noch immer fest umklammert. Endlich ein leises Klicken, dann erhellte ein gelblicher Lichtkegel den laubbedeckten Boden. Ihr Blick fiel auf grünen Farn, gelbliches Gras, ein Stück hellblauen Stoff und etwas Braunes: Haar, nasses, stufig geschnittenes Haar.
Sabines Augen verengten sich, auf ihrer Stirn erschien eine steile Falte. Sie kannte das, wenn sie plötzlich nur noch Kommissarin Berner war, wenn ihr Atem ganz langsam und flach wurde und ihre Sinne hellwach, bereit, sich jede Einzelheit zu merken. Für eine Weile würde kein Platz für Schmerz oder Trauer sein. Das musste bis später warten. Die Kommissarin streckte die Hand aus.
„Geben Sie mir die Lampe!"
Er reichte sie ihr wortlos. Sabine trat vorsichtig zwei Schritte näher, ließ sich in die Hocke sinken und legte die SigSauer neben sich. Bewegungslos kauerte sie zwischen den Farnbüscheln und sah in das wächserne Gesicht, das sie aus starren Augen anblickte: Kommissarin Sandra Richter, siebenundzwanzig Jahre alt, ledig und nun tot.
Wie schön sie dennoch aussieht, dachte Sabine. Ihr Kopf ruhte in weichem Gras, um ihren Hals war locker ein Schal aus hellblauer Seide geschlungen. Sie trug nur einen Slip aus schwarzer Spitze und ein Top, das an den Trägern mit Strasssteinen verziert war. Die übereinandergeschlagenen Beine lagen auf einem Baumstumpf. Zartgrüne Farnblätter umrahmten ihren Körper und die weit ausgebreiteten Arme.
Vorsichtig lockerte die Kommissarin den Knoten des Schals. Es waren keine Würgemale zu sehen, nur zwei winzige Wunden, ähnlich denen, die sie auch bei Ronja gesehen hatte. Doch ein Betäubungsmittel? Das Labor hatte bei der Prostituierten nichts gefunden. Sabine leuchtete der Toten in die glasigen Augen. Rote Flecken, wie Stecknadelköpfe, verrieten, dass auch Sandra erdrosselt worden war. Kleine Blutgefäße waren geplatzt, als der Mörder ihr die Venen zugedrückt hatte und das Blut sich in ihrem Kopf zu stauen begann.
Ihr Blick wanderte weiter. Jedes Detail nahm die Kommissarin in sich auf. Spuren von Fesseln an Armen und Beinen konnte sie nicht entdecken. Hatte sich Sandra gewehrt? Würde sie den Hinweis auf ihren Mörder unter ihren Fingernägeln tragen?
Sabine merkte nicht, wie der Vampir hinter sie trat und sich über sie beugte. Er sog den Duft ihrer feuchten Haare ein, den Geruch ihrer Haut. Ein Hauch von Angstschweiß streifte ihn, doch er begann bereits zu trocknen. Im Moment war sie viel zu konzentriert, um Angst zu empfinden. Peter von Borgo lächelte. Noch war die Zeit nicht gekommen, doch der große Augenblick rückte näher. Ein tiefer Atemzug noch, dann wandte er sich ab und verschwand lautlos im Wald.
„Woher wussten Sie das? Was haben Sie gesehen?" Sabine richtete sich auf und ließ den Lichtschein schweifen. „He, wo sind Sie? Antworten Sie!"
Nur Bäume, Farn und Gras und dazwischen feucht dampfende Nachluft.
„Verdammt!" Hektisch huschte der Lichücegel im Kreis. Der Mann war verschwunden. „So ein Mist", fluchte sie noch einmal. Tiezes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf.
Sein Gezeter hallte in ihrem Kopf wider. Vorsichtig, um keine Spuren zu verwischen, trat sie von der Leiche zurück und sah sich noch einmal um. Dann lauschte sie mit geschlossenen Augen in die Nacht. Es raschelte hier und da, doch nichts ließ auf menschliche Schritte schließen.
Also dann zurück, Zentrale anrufen und die Spurensicherung anfordern. Doch wo waren sie hergekommen? Wieder drehte sich Sabine im Kreis und ging dann beherzt drauflos. Überall nur Bäume, Kraut, feuchte Erde und Wurzeln.
Wie sollte sie die Stelle je wieder finden? Unvermittelt blieb sie stehen, wandte sich um und tappte zurück. Doch schon nach wenigen Schritten war sie sich unsicher. Es sah alles so gleich aus! Wurde das Licht der Lampe schwächer? Ungeduldig schüttelte sie die Taschenlampe. Die Birne flammte kurz auf, doch dann gab sie nur noch ein schwach röüiches Glühen von sich. Sabine schimpfte und fluchte und stampfte wie ein trotziges Kind auf. Ihr war danach, sich auf den Boden zu werfen und in Tränen auszubrechen, doch stattdessen ging sie langsam weiter und machte sich auf die Suche nach ihrem Auto. Ziellos tastete sie sich voran. Jedes Gefühl für die Zeit verflog. Manches Mal glaubte sie, den unheimlichen Mann direkt hinter sich zu spüren. Dann fuhr sie herum, doch sie fand nichts als Finsternis und ihren eigenen keuchenden Atem.
Plötzlich flammte ein Licht zwischen den Bäumen auf. Ein Auto!
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