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Der Duft des Blutes

Titel: Der Duft des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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die auf bemalten Holzsäulen ruhten, prächtigen, umlaufenden Galerien und mehreren Böden über dem Wohntrakt: Wohnung, Kontor und Speicher, alles war unter einem Dach. Und dennoch war die Wandrahminsel vor allem ein Ort der armen Leute. Am Kehrwieder, auf dem Sande und am Brook drängten sich die aufragenden Fachwerkhäuser. Schmale Höfe mit drei oder vier Hinterhäusern, immer engere, sich verzweigende Gänge, von deren Grund man den Himmel nicht sehen konnte. Enge und ewige Düsternis beherrschten das Leben der vielen Menschen, die hier in winzigen Löchern lebten."
    Sabine schritt eine schmale Treppe hinauf, die Luft war erfüllt von Kindergeplärr, derben Witzen und Flüchen, doch auch vom hellen Lachen der Kleinen, die unten in den Höfen spielten. Aus den unteren Wohnungen schlug ihr Modergeruch entgegen. So oft, wie diese bei Hochwasser geflutet wurden, war das kein Wunder. Auch jetzt stand von der letzten Sturmflut in manchen Ecken noch das Wasser in schlammigen Pfützen.
    Eine Treppe höher gingen vom Treppenabsatz sechs Wohnungen ab. Sabine sah neugierig in eine kleine Küche, die als schmaler Schlauch im tiefen Schatten lag, obwohl draußen heller Tag sein musste. Eine Petroleumlampe erhellte matt einen eisernen Herd, ein bunt gestrichenes Wasserfass und einen kleinen Schrank. Von oben ertönten Stimmen. Eine alte Frau schleppte ein unförmiges Bündel die engen Stiegen herunter, hinter ihr folgte eine junge Frau mit einer Kiste, in der allerhand Küchenutensilien gestapelt waren. Zwei Männer mühten sich, eine Truhe herunterzuschaffen. Um ihnen Platz zu machen, trat Sabine in die Küche der Wohnung. Eine niedrige Tür führte ins Wohnzimmer, das von dem schmalen Tisch aus Zuckerkistenholz, dem mit einer schwarzen Decke verhüllten Sofa an der Wand und den beiden wackeligen Stühlen völlig ausgefüllt wurde. Ein schmaler Durchgang führte zur fensterlosen Schlafzimmernische, in der ein Doppelbett und ein Stuhl standen. Unten im Hof erklangen laute Rufe. Sabine trat im Wohnzimmer an eines der schmalen Fenster und sah hinunter. Männer schleppten Bündel und Kisten heran, Frauen verschnürten Packen mit Geschirr und Wäsche auf klapprigen Ziehwagen, Kinder rannten kreischend zwischen den Bündeln hindurch. In der Ecke standen ein paar Männer beisammen und ließen eine Schnapsflasche kreisen. Dann machte sich der Zug aus Menschen und Karren auf, um den Wandrahm für immer zu verlassen.
    „Die Bautrupps kamen, die Vorschlaghämmer ließen die Wände der maroden Häuser erzittern. Eins nach dem anderen fielen sie in sich zusammen. Übrig blieb ein Hügel aus modrigem Holz und rotem Staub, aus dem sich, wie Phönix aus der Asche, bald die prächtigen Speicherbauten erheben sollten."
    Sabine lauschte seiner Erzählung, die solch lebendige Bilder in ihr aufsteigen ließ. Es war, als habe er alles mit seinen eigenen Augen gesehen. Träumerisch lehnte sie sich an die Wand und ließ den Blick über die metallbeschlagenen Teekisten wandern, die schweren, hölzernen Stützen, bis hinauf zur alten Balkendecke. Ihre Hand streifte roten Backstein und raues Holz. Plötzlich zuckte sie zusammen und zog die Hand hastig zurück. Etwas Spitzes hatte sich in ihren Handballen gebohrt und die Haut am Gelenk geritzt.
    „Aua!"
    Dunkelrotes Blut quoll aus dem Riss. Sabine streckte die Hand aus und angelte mit der anderen nach einem Taschentuch.
    Peter von Borgo erstarrte, seine Erzählung brach ab. Der Duft des frischen Blutes stieg ihm in die Nase und berauschte seine Sinne. Zwar hatte er sich an diesem Abend schon an zwei späten Besuchern der Speicherstadt gestärkt, doch Sabines Blut so unverhofft glänzend frisch vor sich zu haben, raubte ihm die so mühsam aufrechterhaltene Beherrschung.
    Noch ehe sie das Taschentuch herausziehen konnte, war er schon neben ihr, griff mit beiden Händen nach dem blutenden Handgelenk und zog es in wilder Gier an seine Lippen. Seine Zähne brachen mit solcher Gewalt hervor, dass er einen leisen Schmerzensschrei ausstieß. Ihr Blut benetzte seine Lippen, floss über seine Zunge, und sein Geschmack hätte Tränen der Erlösung in seine Augen getrieben, wenn er hätte weinen können.
    War der Augenblick gekommen, ihn von seinen Qualen zu erlösen? Noch schwebten die tödlichen Reißzähne über ihrer zarten Haut, unter der im Rhythmus ihres Herzens der liebliche Saft dahinströmte. Die Zunge leckte eifrig die aus der Wunde hervorquellenden Tropfen auf. Sabine versuchte, ihm ihre Hand zu

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