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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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entschädigen müssen.«
    Wenn damit das gemeint war, was er ihrer Ansicht nach dachte – getreu jenem Männerklischee, das aus dem Miteinander-Schlafen immer eine Drohung machte –, dann war das doch für beide selbstverständlich. War es nicht das, worauf sie gewartet hatten, seit sie Will schlafend auf der Treppe gefunden hatten? Jetzt war es Zeit für einen Themenwechsel. Sie erzählte, wie wunderbar es gewesen war, wieder zur Arbeit zu gehen, und von ihrem ersten Tag im Büro, und er hörte zu und machte die passenden Bemerkungen. Alles würde doch noch gut. Schließlich war er ein Mann, und Männer brauchten mehr Anerkennung als Frauen. Jedenfalls hatte sie sich das schon oft gedacht.
    Impulsiv sagte sie: »Vielen Dank für deine Unterstützung. Ich bin dir wirklich dankbar.«
     
    Seine Antwort ließ sie frösteln. »Ich habe mich schon gefragt, wie lange du brauchen würdest, bis du das sagst.«
    Die ganze Zeit, all die Wochen, war er stundenlang stumm in der Ecke gesessen, hatte stirnrunzelnd in die Zeitung gestarrt, und wenn er den Mund aufgemacht hatte, was wahrlich nicht oft vorgekommen war, dann nur, um an ihr herumzunörgeln. Sie schaute ihn an, in seine Augen, und sah einen gut aussehenden Mann, dem es nicht schadete, dass er offensichtlich das Produkt lebenslanger teurer medizinischer Vorsorge und kosmetischer Pflege war: perfekt überkrontes Gebiss, leicht getönte Kontaktlinsen, ein professioneller Haarschnitt, manikürte Fingernägel. Neben anderen Frauen war sie sich schon oft unscheinbar und schlecht gepflegt vorgekommen, weil sie nicht so gut gekleidet und nicht so geschliffen und gestylt war, aber noch nie neben einem Mann.
    Das Lustgefühl, das sie während seiner Besuche in ihrer Wohnung immer wieder mal verspürt hatte, war noch vorhanden, schien allerdings auf jenes Maß zu schrumpfen, das sie bei einem gut aussehenden Handwerker oder sogar bei einem Fernsehschauspieler empfinden könnte. Keine Begegnung verwandter Gedanken, kein Aufkeimen wechselseitiger Zärtlichkeit. Sie war schon dankbar, dass sie ihn immer noch begehrte.
    Im Laufe des Essens brachte er mehrmals seine Opfer zur Sprache und dass sie in seinen Augen versagt hätte, weil sie seine Selbstlosigkeit und Geduld nicht gebührend anerkannt hatte. Allerdings redete er auch über andere Dinge: seine Arbeit, seine Eltern und seine Schwester und sein Haus, das er noch immer mit großer Sorgfalt einrichtete, obwohl er es schon seit zwei Jahren besaß. Und als sie wieder zur Gloucester Avenue zurückgefahren waren, spürte sie, dass sich beide in jener Stimmung befanden, die James’ erste Begegnung mit Will so schrecklich beendet hatte.
    Wenn man mit einem Mann zum ersten Mal ins Bett geht, sollte das idealerweise ganz natürlich geschehen, als spontane Folge von Einklang und gegenseitiger Anziehung und manchmal von zu viel Alkohol. Selbst Letzteres wäre einer gekünstelten Paarung vorzuziehen. So ungefähr musste es damals für die Generation ihrer Großeltern gewesen sein, als Bräutigam und Braut in der Hochzeitsnacht gehemmt und linkisch miteinander umgingen. James jedoch war nicht linkisch, und sie hatte gelernt, beim ersten Mal kein Wunder zu erwarten. So wurden ihre Erwartungen übertroffen, und sie fühlte sich danach für kurze Zeit wohlig. Da sie nicht schlafen konnte, stand sie nach ungefähr einer Stunde auf und ging in die Küche, wo sie das tat, was sie vor ihm nicht gewagt hatte, als sie beide ganz schicklich ihren Sauvignon getrunken hatten. Sie goss sich eine ordentliche Menge Whisky ein. Als das warme anregende Getränk durch ihre Kehle glitt, seufzte sie aus irgendeinem Grund erleichtert.
    Trotzdem würde sie sich jetzt, da Will fort und James endlich ihr Liebhaber war, allmählich das Trinken abgewöhnen. Diese Art Aufputschmittel und Trost bräuchte sie nicht mehr.
     
    Als er kurz vor halb neun nach unten ging, musste er an den Wohnungstüren von Ludmilla Gogol und Will Cobbett vor bei. Nur zwischen zwei Uhr nachts und jetzt drang aus dem Zimmer dieser Russin keine Musik. Natürlich handelte es sich dabei um so genannte »klassische« Stücke. Diese galten, wie Jeremy in anderem Zusammenhang und auch hier schon oft festgestellt hatte, bei ihren unfreiwilligen Zuhörern als nicht annähernd so abstoßend wie Pop, Soul, Hip-Hop oder Garage und bei ihren Liebhabern als über jeden Tadel erhaben. Draußen vor der anderen Tür hielt er einen Augenblick inne und lauschte. Er hörte eine Frauenstimme, dann die von

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