Der Duft des Bösen
Cobbett, und plötzlich kicherte die Frau. Soso, Cobbett hatte eine Freundin. Wunder gab es immer wieder. Ob Inez davon wusste? Beim Weitergehen erklang hinter ihm ein heftiger Trommelwirbel, gefolgt von einer Reihe majestätischer Akkorde, als bräche nach einer friedlichen Pause im Sonnenschein urplötzlich ein Gewittersturm los.
Am Fuß der Treppe klopfte er an die Tür, doch statt der üblichen Aufforderung, einzutreten, hörte er: »Wer ist da?«
Als Antwort öffnete er die Tür und trat ein, wobei er sich zu einem jovialen Lächeln zwang. »Ich habe mich in der letzten Zeit ein bisschen rar gemacht, ich weiß, aber so etwas kommt vor.« Entschuldige dich nie, gib nie eine Erklärung ab …
Er sah die einzelne Teetasse mit den eingetrockneten Ringen am Boden. »Ich habe meinen schon getrunken«, sagte Inez in einem Ton, der alles andere als begeistert klang. »Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen noch einen machen.«
»Bitte, machen Sie sich keine Mühe«, erwiderte er, zwang sich aber zum Bleiben und setzte sich wie immer in den grauen Samtsessel. »Wie ich höre, hat Mr. Cobbett eine Freundin.«
»Ich denke schon.«
»Man fragt sich, was sie dabei denkt, wenn zu jeder Tageszeit Schostakowitsch durch die Wände dröhnt.«
»Tatsächlich?«, meinte Inez kühl.
Die Sache war viel schlimmer, als er erwartet hatte. Vielleicht hatte sie aber auch nur einen schlechten Tag. In ihrem Alter konnte es wohl kaum am Prämenstruellen Syndrom liegen. Diese frauenfeindliche Bemerkung, die ihm einfiel, erinnerte ihn wieder daran, dass er sich entschlossen hatte, keine Frau anziehend zu finden … Wie sagten die Italiener doch? Tutte le donne sono putte eccetto mia madre ch’è una santa. Vermutlich war dieser Satz nicht korrekt, aber seine Bedeutung war klar: Alle Frauen sind Huren, nur meine Mutter nicht, die ist eine Heilige. »Nun, ich muss mich auf den Weg machen«, sagte er.
Inez sah auf und lächelte ihn reserviert an.
Er lief zum Bahnhof Paddington und hasste sie. Was gab ihr das Recht zu der Vermutung, er würde nach ihrer Pfeife tanzen? Beim nächsten Gedanken fragte er sich, warum er eigentlich keine Frauen wie sie umbrachte, alte hässliche Frauen, die keiner mehr brauchte, mit denen sich niemand mehr schmücken wollte. Nein, er war gezwungen, die jungen zu nehmen, gegen die er keinen persönlichen Groll hegte, jedenfalls nicht bewusst. Möglicherweise hasste sein Bewusstsein Inez und ihresgleichen, sein Unbewusstes jedoch lenkte seine Energie auf eine gewisse Art junger Weiblichkeit. Ihm war nicht nur die Ursache seines Handelns unbekannt, er wusste nicht einmal, warum diese Frau und keine andere. Erneut beschäftigten sich seine Gedanken mit der Tatsache, dass er gegenüber seinen Opfern immer im Hintertreffen war. Stets waren es die vor ihm, die ihm den Rücken zudrehten, die er tötete, nie solche, die auf ihn zukamen.
Weiter als bis hierher drang er nicht in sein Innerstes vor. Er verstand lediglich, warum er eine Garrotte verwendete: Er musste, wie die Kali-Anbeter in Indien, von hinten angreifen. Hinter dieser Erkenntnis kam ein Vorhang, eine geschlossene Jalousie, die alles Vorausgegangene zu verdunkeln drohte. Momentan würde er nicht mehr daran denken.
Hier unten gab es Juweliere, aber nur einer hatte geöffnet. Bureau de Change verkündete eine Reklametafel auf dem Gehsteig. Er trat ein. Diesmal kaufte er Euro im Wert von tausend Pfund, eine Transaktion, nach der sich nur noch sehr wenig Geld auf dem Konto befand. Der lange schnurgerade Abschnitt der Sussex Gardens brachte ihn zur Edgware Road zurück. Unterwegs fiel ihm ein, dass er, mit den ganzen Euros in der Tasche und noch zweihundert Pfund Sterling, ein durchaus geeignetes Opfer für einen Straßenräuber wäre, die es hier in der Gegend zuhauf gab. Allerdings würde bei ihm jeder Räuber, der das versuchte, buchstäblich Fersengeld geben. Das würde ihm Spaß machen.
Angeblich war es unklug, hier unten die Geldautomaten zu benutzen, wenn man seine Augen nicht überall hatte. Jeremy gefiel sich darin, dass er seine Umgebung stets im Blick behielt. Er steckte seine Karte in den Automaten, tippte seine Pin-Nummer ein und drückte auf »500 Pfund«. Hoffentlich würden auf dem Bildschirm keine Buchstaben aufleuchten, die ihm mitteilten, sein Konto wäre überzogen. Selbstverständlich besaß er weit mehr als das in Form von Sparkonten und Aktien, aber an die kam er nicht sofort heran. Vermutlich müsste er noch auf seine Bank gehen, aus den
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