Der Duft des Bösen
Anlagen Geld auf sein Girokonto transferieren lassen und – hoffen, dass sich das schnell erledigen ließe. Jedenfalls spuckte der Automat fünfhundert Pfund aus. Diese Summe trug er bis ans bessere Ende der Straße, wo sie in den Marble Arch mündete, und tauschte sie in einer reinen Wechselstube ohne angeschlossenes Schmuckgeschäft in Euro um.
In der Baker Street befand sich eine Zweigstelle seiner Hausbank. Die Vorstellung, dorthin gehen und Zins bringende Gelder auf ein Konto verlagern zu müssen, wo es keinerlei Profit einbrächte, erboste ihn mehr als alles andere. Verdienten diese Leute selbst je einen Penny? Oder lebten sie gänzlich von Diebstahl, Betrug und Erpressung? Und von der Art gab es Tausende. Die Kriminalität in dieser Stadt machte ihn rasend, diese Neigung, sich fremdes Gut anzueignen und zu vernichten, die Missachtung von Besitzrechten, die pure rücksichtslose Unmoral dieses Verhaltens. Und doch bog er in die George Street ein und ging wutschnaubend zu seiner Bank.
Becky ließ noch einen weiteren Tag verstreichen, ehe sie anrief, um sich zu erkundigen, wie sie zurechtkämen. Natürlich war Kim am Apparat. Sie klang fröhlich und gelassen. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Wie hübsch die Wohnung sei, viel schöner als ihr Zimmer daheim bei ihren Eltern, und wie gut es geschmeckt hätte, als sie mit Will bei Al Dar zum Essen gewesen war. Becky fühlte sich einigermaßen beruhigt und hätte von sich aus nicht vorgeschlagen, sie wolle mit Will sprechen, aber Kim reichte sie weiter, nachdem sie sämtliche Gerichte auf der Speisekarte des libanesischen Restaurants aufgezählt hatte.
Will nahm den Hörer und sagte »Hallo«, in jenem neutralen Ton, den sie ohne guten Grund immer mit Unzufriedenheit verband. »Ich bin o.k.«, sagte er.
»Gehst du wieder zu Keith arbeiten?«
Sie hörte, wie er Kim fragte: »Gehe ich wieder zu Keith arbeiten?« Und dann ihre Antwort: »Schatz, das weißt du doch. Am Montag.«
»Becky, am Montag gehe ich wieder zu Keith arbeiten.«
»Und, freust du dich darauf?«
Sie hätte nicht gewusst, was sie getan hätte, wenn er Kim auch hätte fragen müssen, ob er sich freue. Aber er antwortete selbstständig und sagte wieder: »Ich bin o.k.« und »Ich muss doch wieder hin, oder, Kim?«
Ihre Antwort hörte sie nicht, stattdessen vernahm sie klar und deutlich seine nächste Bemerkung, die in ihrem Kopf nachhallte. »Becky, ich wünsche mir, ich wäre bei dir. Wann kann ich kommen und dich besuchen?«
»Wie wäre es mit Sonntag?«, fragte sie. »Den ganzen Tag, Mittag- und Abendessen?« Musste sie Kim auch einladen? Sie wartete, aber keiner von beiden machte diesen Vorschlag.
»Ich werde am Sonntag kommen. Becky, ich liebe Besuche bei dir.«
Obwohl sie sich zu diesem Anruf verpflichtet gefühlt hatte, wünschte sie sich, sie hätte noch einen Tag damit gewartet. Einerseits hatte sie James bereits zwei Abende (und zwei Nächte) hintereinander gesehen und hatte dies auch für den heutigen Abend vor. Also bestand für sie kein Zwang, ihn am Sonntag einzuladen. Während sie sich den ersten Gin Tonic dieses Abends gönnte, den sie nach diesem Telefongespräch unbedingt brauchte, kam sie ins Grübeln. Was war eigentlich mit ihr los? Um Himmels willen, was trieb sie da nur? Sie war dankbar, weil ihr neuer Liebhaber nicht zum Rendezvous mit ihr erscheinen würde? Und das zu Beginn ihrer neuen Liebesaffäre?!
Auf dem Heimweg ging eine junge Frau vor ihm her. Genau im richtigen Abstand, ungefähr fünf Meter, und beide hatten dasselbe Schritttempo. Sie bog in die Star Street ein, er hinterher. Trotz des bedeckten Himmels war es warm und hell. Bei jedem Übergriff gäbe es garantiert Augenzeugen. Hier, am helllichten Tag, hätte er sie nicht töten können, auch wenn sie ihn auf diese undefinierbare Weise angezogen hätte, mit jener geheimnisvollen Kraft, die so stark war, dass es ihm schier das Herz aus dem Leibe riss. Unter dieser Nichterfüllung hätte er gelitten, krank gemacht hätte sie ihn. Der springende Punkt war allerdings eher der, dass er diesen Drang nicht verspürte. Er wollte ihr gar nichts antun.
Inzwischen bildete er sich ein, er sei ihr gefolgt, um sich selbst zu testen, um zu sehen, ob dieser Zwang aufkeimen würde und überhand nähme, sobald er in ihrer Nähe war, in der richtigen Position. Nein, nichts war passiert. Liebend gern hätte er den Grund dafür gewusst. Sie schien annähernd dreißig zu sein, war ziemlich groß, schlank, aber nicht
Weitere Kostenlose Bücher