Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)
gemacht. Australien ist mit Neuzugängen wirklich streng, weißt du? Wenn meine Großeltern nicht für mich gebürgt hätten, müsste ich sogar meine Koffer packen. Es deprimiert mich, wenn ich nur irgendwie den Tag herumbringen muss. Ich komme mir dort in der Pension so nutzlos vor. Hier auf der Farm habe ich eine Aufgabe. Und ich bin mit Menschen zusammen, die ich liebe und die mich lieben. Verstehst du, Oliver? Es tut mir einfach gut, hier zu sein.«
Eine Weile redeten sie noch miteinander, ohne eine perfekte Lösung für ihr Problem zu finden. Schließlich siegte die Müdigkeit, und sie schliefen ein.
Als Sammy am Morgen aufwachte, ging gerade die Sonne auf. Sie freute sich wieder auf ihre Reitstunde und zog sich leise an. Einen Moment stand sie noch am Fenster und betrachtete die grasenden Pferde auf der Koppel. Dann siegte ihre Vorfreude auf den Reitunterricht, und sie beschloss, ihr Pferd schon zu striegeln, so wie sie es von Sarah und Heather gelernt hatte. Hastig kritzelte sie eine Notiz auf einen Zettel, den sie ihrem Vater ins Zimmer legen wollte, damit er sich keine Sorgen machte, wenn sie fort war.
Auf Socken schlich sie über den Flur und hielt unwillkürlich den Atem an, als sie den Knauf seiner Zimmertür drehte. Erstaunt sah sie Sekunden später auf sein leeres, unbenutztes Bett. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf, doch der naheliegendste gefiel ihr am wenigsten. Vorsichtig ging sie weiter den Gang entlang und blieb zögernd vor Sarahs Zimmer stehen. Mit einem trotzigen Zug um den Mund öffnete sie leise die Tür. Wie gelähmt starrte sie auf ihren Vater und Sarah, die nackt aneinander geschmiegt friedlich schliefen. Der Zettel in Sammys Hand segelte geräuschlos zu Boden. Sekundenlang rührte sie sich nicht von der Stelle, bis sie sich schließlich zusammenriss und nach unten lief. In der Küche schnappte sie sich ein paar Lebensmittel und rannte nach draußen. Sie war völlig durcheinander, und sie wollte nur noch fort, denn hier war offensichtlich kein Platz mehr für sie. Immer wieder verbarg sie sich auf dem Weg zum Pferdestall hinter irgendwelchen Büschen oder Sträuchern, wenn sie die Schritte der Arbeiter oder Shanes sonore Stimme in einem der Stallgebäude vernahm. Sie wollte niemandembegegnen. All diese Erwachsenen würden sie doch nur zu beschwichtigen versuchen und ihr zureden, wie man einem Kleinkind zuredete, das bockig ein zweites Eis verlangte. Trotzig schob sich ihre Unterlippe vor. Nein, sie war kein Kleinkind mehr, aber das wollte hier offenbar niemand wahrhaben. Mit leisen Schritten ging sie die Stallgasse entlang, immer darauf gefasst, sich in einer der Boxen verstecken zu müssen, falls jemand auftauchte. Endlich hatte sie die Box der Stute erreicht, auf der sie das Reiten erlernt hatte. Fast geräuschlos schob sie den Riegel zurück und öffnete die Holztür. Das Pferd wandte den Kopf nach hinten und schnaubte leise. Sammy strich sanft über den Pferderücken und sprach beruhigend auf das Tier ein.
»Ruhig, Estella, ruhig. Ich bin’s nur.« Einen Moment lehnte sie die Stirn an den warmen Pferdehals und fragte sich unsicher, was sie nur tun könnte. Dann aber siegte ihr Dickkopf. Sie würde nicht artig daneben stehen, wenn ihr Vater ihr diese Frau als neue Mutter präsentierte. Sie brauchte keine neue Mutter. Leise lief sie hin und her, um die Trense, die Satteldecke und den Sattel zu holen. Konzentriert rief sie sich in Erinnerung, welche Riemen wohin gehörten. Mit einer gewissen Portion Stolz musterte sie dann das fertig gesattelte Pferd und führte es langsam, sich immer wieder prüfend umsehend, aus dem Stall. Das Herz pochte heftig in ihrer Brust, als sie auf eine Holzbank stieg und einen Fuß in den Steigbügel setzte, um sich von dort in den Sattel zu schwingen. Sie war noch nie allein ausgeritten, und sie wusste ganz genau, dass das nicht ungefährlich war. Gerade Reitanfänger ritten immer zu zweit aus, damit imNotfall einer Hilfe holen konnte. Sie machte sich selbst Mut, während sie Estella antrieb. Es würde schon nichts geschehen. Sie konnte schließlich schon gut reiten, das hatte Sarah gestern selbst gesagt. Sammy schlug den Weg zum Fluss hinunter ein, denn dort würden Büsche und Bäume sie am ehesten vor neugierigen Blicken verbergen. Erleichtert atmete sie auf, als sie außer Sichtweite war, und ließ die Stute wieder in Schritt fallen. Plötzlich konnte sie ihren Ausflug sogar genießen. Sie lauschte dem seltsam lachenden Ruf eines Kookaburras
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