Der Duft des Meeres
hat mich zurückgezogen, weg von dir, als würde ich in den Boden gesaugt.«
So hatte es sich also für ihn angefühlt zu sterben. Sie erinnerte sich daran, wie er direkt durch sie hindurchgeschaut hatte und wie es sie bis ins Mark hatte frösteln lassen. Ihre eigene Begegnung mit dem Tod war anders gewesen und irgendwie besser, als könnte der Tod in Kategorien wie gut und böse gemessen werden. Das Bild ihres Vaters hatte sie in Sicherheit gezogen und sie ihre Sehnsucht nach Luft vergessen lassen. Er war für sie da gewesen, aber sie hatte nicht das Gleiche für ihn tun können. All diese Zeit, all diese Mühe, sie hatte ihn doch nur zurückholen wollen, hatte gewollt, dass er stolz wäre auf alles, was sie für ihn getan hatte. Am Ende hatte sie ihn kläglich im Stich gelassen.
»Und dann warst du fort. Deine Stimme verklang, und ich war in dem Beiboot und trieb auf der Tasmansee, an dem Morgen, nachdem die Christina untergegangen war«, fuhr Oscar fort.
Samuel und Ira schauten einander mit einem deutlichen Ausdruck von Zweifel und Verwirrung in den Mienen an.
»Aber ich war nicht allein.« Er schob Camille sanft von sich weg und umfasste ihre Arme. »Dein Vater war bei mir. Er hat dagesessen und gelächelt. Ich konnte die salzige Luft schmecken, und … und ich erinnere mich daran, das Wasser berührt zu haben, es war kalt. Es war nicht wie in einem Traum, in dem man solche Dinge nicht tun kann.«
Camille holte tief Atem und versuchte, ihre Lungen mit Luft zu füllen. Oscar hatte ihn ebenfalls gesehen. Sie hätte alles gegeben, um ihren Vater wiederzusehen, um seine Stimme zu hören, um sich allein durch seine Anwesenheit wie zu Hause zu fühlen. Zumindest war es das, was sie früher einmal geglaubt hatte. Aber Camille war nicht bereit gewesen, Oscar aufzugeben. Bedeutete das, dass sie ihren Vater weniger liebte? Niemals. Sie konnte ihren Vater niemals weniger lieben. Warum hatte ihr Herz dann nicht ihn gewählt?
»Hat er etwas gesagt?«, fragte sie. Sie wollte es unbedingt wissen, hatte aber doch Angst davor, es zu hören.
»Es ist alles so wirr«, antwortete Oscar, schüttelte abermals den Kopf und rieb sich die Brust. »Ich erinnere mich daran, dass er einige Dinge gesagt hat. An Bruchstücke.«
Camille sah zu Ira und Samuel hinüber. Ihre Münder waren geöffnet und die aus den Höhlen tretenden Augen auf Oscar gerichtet. Oscar starrte auf den Boden und schien sich größte Mühe zu geben, zusammenzufügen, was ihr Vater auf der anderen Seite gesagt hatte.
»Ich bin immer noch hier, um dich zu führen?«, sagte er und zweifelte an seiner eigenen Erinnerung. »Es ergibt keinen Sinn, es tut mir leid.«
Sie schüttelte den Kopf, in ihre Augen traten wieder Tränen. Es war real gewesen. Er war in dem schwarzen Wasser des unterirdischen Teichs wirklich zu ihr gekommen.
»Nein, es braucht dir nicht leidzutun«, erwiderte sie, und die Tränen strömten ihr über die Wangen. »Es ergibt durchaus einen Sinn. Es ergibt für mich einen Sinn.«
Oscar schien sie nicht zu verstehen, und sie wusste, dass sie ihm die ganze Geschichte erzählen musste, um es zu erklären.
»Hat er sonst noch etwas gesagt?«, hakte Ira nach. Camille sah ihn an und hoffte, dass er und Samuel und selbst Oscar nicht dachten, dass sie ein schrecklicher Mensch war, weil sie eine andere Person als ihren Vater zurückgebracht hatte. Obwohl sie ihnen keinen Vorwurf machen würde, wenn sie so dachten.
»Er hat etwas gesagt, aber …« Oscar rieb sich abermals die Brust und schob sein zerrissenes Hemd zurück. Der dünne Kratzer, der zunächst noch von der Wunde übrig geblieben war, war jetzt ebenfalls verschwunden. »Ich weiß, dass William noch mehr gesagt hat, aber es ist einfach … es ist zu wirr.«
Camille wollte wissen, was ihr Vater gesagt hatte, vielleicht noch mehr, als sie den Rest von dem Brief ihrer Mutter hatte lesen wollen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um Oscar zu bedrängen. Er würde schon kommen.
Der Umandu war aus McGreenerys Hand gerollt, und Ira bückte sich jetzt, um den Stein aufzuheben. Er strich mit den Händen über jede Fläche des dreieckigen Steins. Camille war davon überzeugt, dass er die Hitze oder den Puls nicht spüren konnte, die sie zuvor gespürt hatte. Sie hatte alles, was der Umandu an Kraft in sich getragen hatte, direkt in Oscars leblosen Körper geschickt.
Oscar deutete mit dem Kopf auf den Stein. »Er sieht überhaupt nicht außergewöhnlich aus. Zumindest nicht so wie die
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