Der Duft des Regenwalds
Geschehen genauer betrachten zu können. Tatsächlich wurden die herbeigeschleppten Wassereimer immer zahlreicher, da inzwischen der ganze Haushalt auf den Beinen war, um mitzuhelfen. Schließlich brachten drei Männer einen Schlauch, mit dem auch die Pflanzen im Patio bewässert wurden, und richteten den Wasserstrahl auf die Flammen. Der Kampf zwischen Feuer und Wasser schien sich endlos hinzuziehen. Zwei der Lagerhäuser stürzten ein, und schwarze Wolken aus Ruß wirbelten in den Himmel. Aber die wilde Natur Mexikos meinte es gut mit den Bohremanns, denn nach ungefähr einer Stunde verzweifelter Brandbekämpfung setzte ein heftiger Regen ein, der weitaus effektiver die Flammen löschte als das Wasser sämtlicher Gartenschläuche. Ein Jubelruf ging durch die versammelte Menge, als die letzte Glut von der Wasserflut erstickt wurde.
Alice atmete erleichtert auf. Sie hätte nicht gewollt, dass diese wunderschöne Hazienda zu Schutt und Asche verbrannte. Hans Bohremann, der aufgeregt herumgelaufen war und Weisungen erteilt hatte, holte nun seine Frau auf den Vorhof und schloss sie vor allen Leuten in die Arme. Sie wurden in Sekundenschnelle klitschnass, was niemanden störte. Alice, die den beiden gefolgt war, vernahm ein leises Schluchzen Rosarios, der einzige Hinweis auf alle Ängste, die die Hausherrin ausgestanden haben musste.
»Gott sei gelobt«, murmelte Juan Ramirez, der weiterhin an ihrer Seite blieb, auch wenn er sie nicht mehr berührte. Tropfen trafen sein Gesicht, ließen dunkle Flecken auf seinem blütenweißen Hemd wachsen. Alice wischte sich immer wieder die Wangen trocken. Viele der indianischen Diener, die fleißig bei der Brandbekämpfung mithalfen, wirkten ebenfalls erleichtert. Einige der dunklen Gesichter blieben undurchschaubar, doch das machte diese Menschen nicht unbedingt schuldig.
»Deine Schwester sollte ihren Zorn nicht an den Bediensteten auslassen«, flüsterte Alice Juan Ramirez zu. »Niemand weiß, ob sie den Brand gelegt haben.«
»Hans wird verhindern, dass sie zu heftig reagiert, keine Sorge. Das ist immer so«, entgegnete er ebenso leise und zwinkerte Alice zu. Sie ging nicht auf dieses Angebot heimlicher Verbundenheit ein, denn er hatte sie in der Öffentlichkeit verleugnet.
»Wir sind gerettet!«, rief Juan Ramirez und streckte die Arme dem Regen entgegen. »Und alle haben morgen einen freien Tag, weil ein Fest stattfindet.«
Als wolle die Natur ihn für diesen Entschluss loben, ließ der Regen plötzlich nach. Rosario hatte die Stirn gerunzelt, widersprach aber nicht. Hans Bohremann nickte nach kurzem Zögern. Die Indios lachten und tanzten herum. Alice begriff, dass ihr Liebhaber ohne Rückgrat soeben dafür gesorgt hatte, dass aufgebrachte Gemüter zur Ruhe kamen und die Diener der Hazienda sich ihrem Patron wieder verbunden fühlen konnten.
Sie lächelte ihn an. Waren dies die ungenutzten Talente, von denen Patrick geschrieben hatte?
Dann hörte sie neues zorniges Geschrei. Sie drehte sich um und sah die zwei grimmigen Kerle, die Andrés bewacht hatten, tropfnass und keuchend herbeilaufen.
»Er ist weg!«, riefen sie. »Der verfluchte, dreckige Indio ist abgehauen.«
Bruchstücke fügten sich in Alice’ Kopf zusammen. Das Feuer hatte alle Bewohner der Hazienda abgelenkt. Wahrscheinlich hatten auch die Wächter ihren Posten verlassen, um zu sehen, was vor sich ging, und zu helfen. In der Zeit hatte jemand die Riegel geöffnet und Andrés unauffällig herausgelassen. Es schien also wahrscheinlich zu sein, dass einige der Bediensteten das Feuer gelegt hatten. Sie hielt den Atem an. Sie war erleichtert, und gleichzeitig überkam sie eine unklare Angst vor dem, was nun geschehen würde.
»Alle gehen ins Haus zurück!«, rief Hans Bohremann. Er konnte nicht laut schreien, doch die Wachmänner gaben seinen Befehl weiter. Die Diener trotteten los, langsamer als nötig, als ahnten sie, dass ihnen Ärger bevorstand. Sie selbst folgte den Bohremanns in den großen Speisesaal, wo rasch ein paar Gläser mit Tequila gefüllt wurden, um die Gemüter zu beruhigen. Zwar waren sie alle durchnässt, doch die Temperatur war so mild, dass niemand fröstelte.
»Ich habe gleich gesagt, dass die Riegel nicht reichen. Jeder konnte sie von außen öffnen! Wir hätten ein richtiges Schloss gebraucht«, zischte Rosario ihrem Mann auf Deutsch zu, noch bevor sie einen Schluck getrunken hatte. Ihr glattes schwarzes Haar glänzte vor Nässe, doch ihre Frisur saß tadellos.
»Nun reg dich nicht
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