Der Duft des Regenwalds
auf!«, erwiderte Hans. Alice sah, wie die schöne Hausherrin für einen winzigen Augenblick das Gesicht verzog, während ihr Mann weiter auf sie einredete: »Er muss noch irgendwo auf der Hazienda sein. Das Ausgangstor wurde trotz des Feuers nicht aufgesperrt.«
Hans Bohremann hatte den Arm um seine Frau gelegt, doch sie wies mit harter Stimme die Dienstboten an, in den vom Brand geschädigten Gebäuden aufzuräumen.
»Sämtliche Räume sollten gründlich durchsucht werden. Ein Mörder versteckt sich hier irgendwo«, sagte Dr. Scarsdale auf Englisch. Seine unerschütterliche Ruhe schien sich auf Rosario zu übertragen, deren Gesicht wieder einen gefassten, stolzen Ausdruck zeigte.
»Die Suche geht gleich los, keine Sorge«, versicherte Hans Bohremann, der nicht erfreut wirkte, an seine Aufgaben erinnert zu werden. »Ich habe bereits ein paar vertrauenswürdigen Männern die nötigen Weisungen gegeben.«
»Keine Indios, hoffe ich. Die stecken doch alle unter einer Decke.«
Rosario zuckte ein wenig zusammen, als Hans ihr nach diesen Worten einen verärgerten Blick zuwarf. Bereits Tante Grete hatte Alice erklärt, dass kein Mann es schätzte, von seiner Frau in der Öffentlichkeit belehrt zu werden. Nun hatte die tadellose Hausherrin ebenjenen Fehler begangen, doch ihr Gemahl war zu gutmütig, um ihr deshalb ernsthaft zu grollen.
Alle stießen mit ihren Tequila-Gläsern an, dann entfernte Hans Bohremann sich, um die Leitung der Suche zu übernehmen. Juan Ramirez schloss sich an, obwohl er nicht dazu aufgefordert worden war. Rosario wies die immer noch verstörten Dienstboten an, Schokolade zu bringen, und setzte sich gelassen auf einen Stuhl, um mit Alice und Dr. Scarsdale zu plaudern. Ihre Versuche, entspannte Stimmung zu verbreiten, indem sie von Belanglosigkeiten sprach, wirkten zu bemüht, um überzeugen zu können. Die Anstrengung ließ eine unschöne Falte zwischen ihren Brauen entstehen, die in ihrer schwungvollen Form Schwalbenflügeln glichen. Alice verstand nicht, warum Rosario sich überhaupt solche Mühe gab, denn sie hatte bisher kaum verheimlicht, dass sie von einer alleinstehenden Malerin, die gern unpassende Bemerkungen machte, nicht besonders viel hielt. Immer wieder glitt der Blick der Hausherrin mit deutlichem Missfallen zu Mariana, die ihren Kopf zufrieden auf Alice’ Füße gelegt hatte. Vermutlich ging es Rosario um Dr. Scarsdale, der zwar stets etwas schäbig wirkte und kaum über gesellschaftlichen Schliff verfügte, aber immerhin einen akademischen Titel vorweisen konnte. Eine bessere Erklärung fiel Alice nicht ein.
Es dämmerte bereits, als Hans Bohremann und sein Schwager zurückkamen. Alice sah den Gesichtern an, dass die Suche nicht erfolgreich verlaufen war. Sie freute sich, obwohl ihr die Folgen der Situation nicht wirklich klar waren.
»Wir haben alles auf den Kopf gestellt. Er muss es irgendwie geschafft haben, sich von der Hazienda zu schleichen«, gestand Hans Bohremann. Rosario fuhr auf.
»Das ist eine Verschwörung der Bediensteten. Sie haben ihm geholfen. Wir sollten die Wahrheit aus ihnen herausprügeln, aber das willst du natürlich nicht.«
Hans stieß einen Seufzer aus.
»Lass uns später darüber reden!«
Rosario nahm es hin und lächelte ihre Gäste an.
»Nun können Sie sich alle wieder in Ihre Zimmer begeben, um frische, trockene Kleidung anzulegen. Das Abendessen wird zur gewohnten Zeit serviert. Wir lassen uns nicht so einfach verrückt machen.«
Alice stand erleichtert auf. Mariana brauchte Futter, und sie selbst sehnte sich nach ein wenig Ruhe, um nachdenken zu können.
Ihr Zimmer sah ordentlich und völlig unversehrt aus. Das Tagebuch lag oben auf der Truhe. Sie atmete erleichtert auf, denn sie hatte befürchtet, bei der Suche nach Andrés Uk’um wäre der letzte Winkel durchwühlt worden. Doch falls dies geschehen war, hatte man alle Dinge anschließend wieder dort hingelegt, wo sie vorher gewesen waren. So viel deutscher Ordnungssinn entlockte ihr ein Lächeln. Sie streckte sich auf dem Bett aus und schloss die Augen. Mariana sprang sogleich zu ihr, und Alice kraulte ihr Fell, während sie versuchte, die neuesten Ereignisse auszuloten.
Andrés war geflohen, hatte es vermutlich geschafft, sich von der Hazienda zu schleichen, und würde nun bei seinen Leuten Zuflucht suchen. Mit etwas Glück konnte er sich dort besser verstecken. Das gab ihr einen Grund, länger hierzubleiben. Zu warten. Weiter zu fragen und zu suchen. Doch sie wusste nicht, wo noch
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