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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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sich seinen Wünschen fügten. Vor der ganzen Welt, denn er hatte mich gelehrt, wie schmal der Pfad war, auf dem ich gehen durfte, um nicht in einen Abgrund zu fallen. Als ich achtzehn war, wurde ich verlobt. Mit einem älteren Herrn, der bei der Bank meines Vaters viel Geld hinterlegt hatte. Ich begehrte nicht dagegen auf, obwohl ich ihn nicht mochte. Es wäre mir niemals in den Sinn gekommen, mich den Wünschen meines Vaters zu widersetzen.«
    Sie musterte das ihr aufmerksam zugewandte Indianergesicht. Es war glatt und kupferfarben. Sie verspürte den Wunsch, mit der Hand darüberzustreichen, um nach möglichen Bartstoppeln zu forschen.
    »Was ist geschehen, um all dies zu ändern?«, fragte Andrés.
    »Ich ertappte meinen Verlobten nach einer Soirée im Haus meines Vaters mit meiner Zofe in meinem Zimmer. Es war nicht …«
    Sie hob abwehrend die Hände, obwohl Andrés nur schweigend zugehört hatte.
    »Ich war nicht eifersüchtig. Ich hatte keine Gefühle für diesen Mann. Aber ich sah, dass meine Zofe es nicht freiwillig tat. Er hielt ihr den Mund zu und zwängte sich auf sie. Ich lief zu meinem Vater, denn ich hoffte, er würde einschreiten. Aber er herrschte mich nur an, kein unnötiges Aufheben zu machen wegen Dingen, die ich nicht begriff. Meine Zofe wurde entlassen, doch sie erhielt ein gutes Zeugnis und sogar eine Abfindung. Damit sie den Mund hielt.«
    Sie holte erschöpft Luft. Sie hatte noch niemals über dieses Erlebnis gesprochen, empfand auch keinerlei Erleichterung, es nun getan zu haben. Sie zitterte. Ihr fehlte die Kraft aufzustehen, obwohl sie sich plötzlich weit weg wünschte. Selbst die uralte, wilde Welt des nächtlichen Dschungels schien nun durch diese Erinnerungen beschmutzt. Als Andrés zaghaft versuchte, einen Arm um ihre Schultern zu legen, wich sie zurück.
    »Das Mädchen hatte Glück«, sagte er nur. »Hierzulande hätte man es einfach nur davongejagt. Und Sie wollten diesen Mann dann nicht mehr heiraten, habe ich recht?«
    Alice atmete tief durch. Er sprach über dieses Erlebnis, als sei es völlig alltäglich. Plötzlich hätte sie sich gern an der Schulter dieses studierten Indianers ausgeruht, doch genau diese Sehnsucht zwang sie, noch ein Stück von ihm wegzurücken. Niemals Schwäche zeigen, das hatte sie sich einst geschworen. Männer liebten schwache Frauen, weil sie leicht zu beherrschen waren.
    »Meine Tante sagte, dass Männer ihre Bedürfnisse hätten, auch wenn wir Frauen es nicht verstehen könnten. Dass er mich aber niemals so grob behandeln würde, wenn ich seine angetraute Ehefrau wäre und keine gewöhnliche Magd.«
    Sie war stolz auf sich, denn sie hatte ruhig gesprochen.
    »Damit hatte sie vielleicht sogar recht … ich meine, was die Behandlung einer Ehefrau betrifft«, warf Andrés ein. Alice beachtete ihn nicht. Sie wollte einfach nur reden, selbst wenn niemand außer den Geistern des Dschungels ihr zuhörte.
    »Ich lehnte die Ehe ab. Auf einmal wusste ich, dass es nicht möglich für mich war, diesen Mann zu heiraten. Dass ich den Verstand verlieren würde, wenn ich etwas täte, das so völlig meinen eigenen Empfindungen von Gut und Schlecht widersprach. Natürlich nahm mich niemand ernst. Man nannte mich überspannt und hysterisch. Schließlich drohte mein Vater mir, mich aus dem Haus zu jagen, wenn ich ihm nicht gehorchte. Ich weiß nicht, ob er es wirklich getan hätte. Ich kam ihm zuvor, indem ich einfach ging, obwohl ich dabei vor Angst fast gestorben bin. Ich dachte, allein da draußen, ganz ohne den Schutz meiner Familie, würde ich krepieren. Aber es gelang mir, mich durchzuschlagen.«
    Sie vergrub das Gesicht in den Händen und rückte noch ein Stück von Andrés weg, damit er nicht in Versuchung geraten konnte, sie zu berühren.
    »Ich bin all das, was man mir vorwirft. Ich bin erbarmungslos und hart und selbstsüchtig und zornig. Ich schere mich einen Dreck um Traditionen und Familie und Menschen. Alles, das ich tun will, ist malen. Denn ich empfinde Frieden dabei. Dann weiß ich, zu welchem Zweck ich auf dieser Welt bin. Und solange die Malerei mich ernährt, so lange kann ich leben.«
    Langsam ließ sie ihre Hände sinken, weigerte sich aber, ihren Zuhörer anzusehen, während sie aufstand. Andrés sagte kein Wort, und sie war ihm dankbar dafür.
    »Gibt es Neuigkeiten von Ix Chel?«, fragte sie so beiläufig wie möglich, während sie mit weiterhin zitternden Händen die Figuren einsammelte. Mehr als zwei konnte sie allerdings nicht tragen.

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