Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
Vom Netzwerk:
Andrés schüttelte den Kopf.
    »Es ist nicht einfach, etwas über sie herauszufinden. Ihre Familie hat angeblich keine Ahnung, wo sie ist. Aber …«
    Er verstummte für einen Moment, um sie dann zaghaft und fast bittend anzusehen.
    »Es wäre eine große Freude für mich, wenn Sie morgen Nacht wiederkämen, Miss Wegener. Ich würde mich sehr gern weiter mit Ihnen unterhalten.«
    »Das wird sich wohl nicht vermeiden lassen, denn ich will die übrigen Figuren abholen«, sagte Alice und floh aus der Ruine, ohne sich nach ihm umzusehen. Sie lief ein paar Schritte, bis der Wasserfall neben ihr rauschte. Modesta, Domingos Frau, tauchte wie ein Schatten auf, dessen Existenz Alice durch ein Kopfnicken anerkannte.
    Über dem Wasserfall zogen plötzlich hell funkelnde Lichter durch die dunkle Nachtluft, verbreiteten ein derartiges Strahlen, dass für einen Augenblick sogar die satten Farben des Regenwalds sichtbar wurden. Alice zuckte erschrocken zusammen, doch der Anblick war zu zauberhaft, um ihr lange Angst einzujagen. Kaum war sie näher herangekommen, da verschwanden die Lichtkügelchen auch schon im Dickicht.
    »Cucuji«, sagte Modesta an ihrer Seite und blickte zu ihr hoch. Als Alice ratlos mit den Schultern zuckte, fuhr sie mit der Hand durch die Luft und ahmte ein summendes Geräusch nach. Alice begriff, dass sie nichts weiter gesehen hatte als einen Schwarm von Leuchtkäfern, doch waren sie unfassbar prächtig und zauberhaft gewesen wie alles in diesem Land.
    Spontan lächelte sie Modesta an und freute sich, als dieses Lächeln erwidert wurde. Dann lief sie der kleinen Frau weiter durch den Dschungel hinterher, bis sie ihre Hütte erreicht hatte.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Julio, als sie unter ihre Decke kroch. Alice nickte beiläufig und schloss die Augen. Kurz meinte sie, ein fast bartlos glattes, kupferfarbenes Männergesicht vor sich zu sehen, konnte es aber erfolgreich verdrängen, bevor sie endlich einschlief.

»Als ich in Ciudad de México ankam, da kaufte ich mir erst einmal ein Paar Schuhe«, erzählte Andrés, während er jenen Schraubenzieher, den sie aus Dr. Scarsdales Utensilien entwendet hatte, dazu benutzte, eine weitere Steinfigur von einer dicken Kalkschicht zu befreien. »Mein Patron hatte mir etwas Geld auf die Reise mitgegeben, in erster Linie für Nahrung. Was ich sonst noch brauchte, sollte ich mir irgendwie selbst verdienen. Ich zog es vor zu hungern, um mich nicht zu blamieren. Keiner der anderen Studenten trug gewöhnliche Huaraches. Doch ich hatte keine Ahnung, wie unbequem festes Schuhwerk ist. In meinem winzigen Zimmer lief ich die ganze Nacht lang auf und ab, um mich daran zu gewöhnen. Trotzdem musste ich die Zähne zusammenbeißen, um nicht zu humpeln, als ich den Unterrichtsraum betrat. Gekichert wurde dennoch, denn für einen Anzug hatten meinen finanziellen Reserven nicht gereicht.«
    Alice zog staunend die Brauen hoch, denn sie hatte Männerkleidung immer für bequem gehalten.
    »Ist es denn angenehmer, barfuß zu laufen?«
    »Allerdings, wenn man es von Kindheit an gewöhnt ist. Ich hatte dicke Hornhaut an den Füßen, stabiler als Leder. Die widersetzte sich und protestierte schmerzhaft, als sie derart eingezwängt wurde. Andrew, mein amerikanischer Freund, riet mir schließlich, sie mit einem kleinen Messer abzuschälen. So wurden die Schuhe für mich erträglich. Und irgendwann brauchte ich sie. Ich war stolz darauf. Ich war ein Señor geworden.«
    Alice nahm dies nickend zur Kenntnis. Das bisherige Leben dieses kupferfarbenen Mannes hatte sich in den letzten Nächten langsam zu einer zusammenhängenden Geschichte gefügt, die ihr spannend schien. Sie wusste, dass Andrew sein Studienkollege gewesen war, dessen Eltern ihm keine Ausbildung in den Vereinigten Staaten bezahlen konnten und deshalb die billigere Variante jenseits der Grenze gewählt hatten, wo es mütterlicherseits Verwandtschaft gab. Andrew und Andrés, zwei Namensgenossen, hatten einander geholfen, in einer Welt voll fremder Gebräuche und gesellschaftlicher Gruppen, von denen sie ausgeschlossen waren, zurechtzukommen. Der Indianer übersetzte für den Nordamerikaner, wodurch er selbst Englisch lernte. Der überließ ihm abgelegte, zerschlissene Anzüge, die in Hörsälen immer noch akzeptabler waren als die übliche Indio-Kleidung. Ebenso wie sie selbst hatte Andrés allein in einer feindseligen Wirklichkeit überleben müssen.
    Er wusste inzwischen von ihrer großen Angst, nach der Flucht aus dem

Weitere Kostenlose Bücher