Der Duft des Regenwalds
kicherte fröhlich wie ein kleines Mädchen. Alice ahnte, dass sie sich geschmeichelt fühlen sollte, denn der Quetzal, den man selten zu Gesicht bekam, galt tatsächlich als die schönste Vogelart des Dschungels. Aber was war ein onen?
»Deshalb Patrick jetzt auch onen Quetzal. Dein Bruder. Du auch Hach Winik.«
Alice erinnerte sich, wie Andrés ihr einmal erzählt hatte, jeder Indio betrachte eine bestimmte Tierart als seinen Seelenverwandten. Die Schamanen bestimmten, welches Tier es war, indem sie die Träume des Betroffenen interpretierten. In ihrem Fall also der Quetzal, obwohl sie nie von ihm geträumt hatte. Als Erbschaft erhielt Patrick nun auch posthum diesen prächtigen Vogel. Alice fühlte sich tief gerührt, dass Ix Chel weiter mit ihrem Malalil verbunden sein wollte, auch wenn er tot war und sie bald einen anderen Mann heiraten würde. Ihre letzte Scheu schwand, was vielleicht an dem Rauschgetränk liegen mochte, und sie schloss diese Frau aus einem fremden Volk, deren Gesicht auf einer Zeichnung sie viele Wochen lang Fragen gestellt hatte, in die Arme.
»Du nehmen Kette«, flüsterte das Mädchen ihr ins Ohr. Alice wich zurück und starrte sie ungläubig an.
»Ich … aber warum? Sie gehört dir.«
»Ich nicht mehr wollen. El doctor nicht soll kommen hierher und suchen. Ich will Frieden bis wieder bei Patrick.«
Nach ein paar Atemzügen setzte Alice sich auf den Boden und forderte Ix Chel mit einer Handbewegung auf, ihrem Beispiel zu folgen.
»Diese Kette«, bemühte sie sich zu erklären, »ist sehr viel wert. Mucho dinero.«
Das Spanische half nicht. Ix Chel sah sie nur fragend an.
»Deine Kette«, versuchte Alice einen weiteren Anlauf, »davon kannst du viel kaufen. Und Patrick war ein reicher Mann. Er wollte sicher nicht, dass du jetzt arm bist. Du könntest an einem anderen Ort leben als hier. In einem großen Haus mit Dienstboten, du, deine Mutter, eure ganze Familie. Du könntest eine Señora sein.«
Ix Chel blickte weiterhin ratlos drein. Alice war sich nicht sicher, ob sie die Worte nicht verstand oder deren Aussage nicht begriff. Sie atmete tief durch, musterte den abendlichen Regenwald mit seinen Geräuschen und Gerüchen, jene Hütten, die fast wie ein Teil der sie umgebenden Natur wirkten, und ihre inzwischen in Rauschträumen versunkenen Bewohner. Auf einmal wusste sie selbst nicht, was der Erlös für die Kette hier zum Besseren verändern könnte, außer dieses Dorf aus seiner Abgeschiedenheit zu reißen, was vielleicht seinen allmählichen Niedergang bedeutete.
»Bist du hier zufrieden?«, fragte sie schließlich. Ix Chel nickte zustimmend.
»Das Leute meiner Mutter«, bestätigte sie.
»Gut, in diesem Fall … ich werde die Kette mitnehmen. Dann kommt niemand hierher, um nach ihr zu suchen«, sagte Alice schließlich. Ihre Finger umschlossen das Schmuckstück, das schwerer war als erwartet.
»Ich danke dir«, sagte Alice, als sie aufstand. »Ich bin sehr froh, dass mein Bruder dich getroffen hat. Du hast ihn glücklich gemacht.«
Diesmal lächelte Ix Chel nicht.
»Zuerst er krank, da nicht glücklich. Chan K’in sagen, unglückliche Mensch krank, braucht Heiler. Du und Andrés auch manchmal krank.«
»Wir werden versuchen, gesund zu werden«, erwiderte Alice und ging, die Kette in ihrer Hand, zu der Hütte zurück, wo Andrés auf sie wartete.
»Sieh her, was ich von meiner indianischen Schwägerin erhielt.«
Andrés wandte sich um und hielt ihr eine angezündete Fackel entgegen. Das Staunen auf seinem Gesicht war geringer, als sie erwartet hatte.
»Die Kette von Patricks Zeichnung«, stellte er fest und nahm das Schmuckstück an sich, um es näher zu betrachten.
»Was sind das für Steine?«, fragte er. Alice war froh, endlich einmal eigenes Wissen zum Besten geben zu können. Vom Überleben im Dschungel wusste sie auch jetzt nur das Allernotwendigste, aber mit Schmuck kannte sie sich aus.
»Malachit, Onyx und Jade, würde ich sagen. Sie gelten als Halbedelsteine, sind aber wertvoll. Doch es ist das Alter der Kette, das ihren wahren Wert ausmacht. Ich denke, sie stammt noch aus der Zeit, da Palenque ein Herrschersitz war.«
Sie ging in die Hocke und griff nach der Schüssel mit gekochten Flussschnecken, die hier fast so gern gegessen wurden wie Papageien. Die Aufregung hatte sie hungrig gemacht, und inzwischen war sie die seltsamen Speisen gewöhnt.
»Und was machen wir jetzt damit?«, fragte Andrés, dessen Begeisterung sich in Grenzen hielt. Bevor sie
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