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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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angenommen hatte, denn die Formen dieser Gefäße wiesen eine schlichte Eleganz auf, die von Kunstfertigkeit zeugte. Die Männer reichten ein paar Zigaretten herum, einige der Frauen griffen ebenfalls zu und zu Alice’ Erstaunen sogar manche Kinder.
    »Tabak gilt hier als rituelles Rauschmittel«, flüsterte Andrés ihr ins Ohr. »Ebenso wie dieses Getränk in den Schalen. Er wird aus der Rinde des Balchébaumes gewonnen, die man mit Wasser und Honig kocht. All das hilft Menschen beim Träumen.«
    Alice sah den Kaziken Chan K’in langsam zwischen den Menschen hindurchgehen. In seiner Hand lag ein grüner Stab aus Pflanzenfasern. Er tunkte ihn in die Gefäße, in denen sich das Rauschgetränk befand, und rührte anschließend in den Tonschalen, die bereits nach Weihrauch rochen.
    »Darin wird das Harz der Pinien und Copalbäume verbrannt, die als heilig gelten«, erklärte Andrés leise. Alice, die das Geschehen neugierig verfolgt hatte, sah ihn erstaunt an.
    »Seit ich die Sierra Madre verlassen habe, kann ich mich an keine einzige Pinie erinnern. Hier ist es viel zu heiß.«
    »Es gibt auch höher gelegene Gegenden im Dschungel, wo Pinien wachsen. Die Leute wandern dorthin, um das Harz zu sammeln, das sie dann im Götterhaus verbrennen.«
    Das Feuer in den ersten Schalen flammte auf, und Rauch stieg Alice in die Augen, sodass sie für eine Weile kaum etwas sehen konnte. Die Dorfbewohner waren erstaunlich entspannt für eine rituelle Feier. Sie rauchten die Zigaretten, plauderten und lachten, während Kinder im Hintergrund herumtollten, ohne zurechtgewiesen zu werden.
    Chan K’in verteilte die Schalen mit dem Rauschgetränk und nippte schließlich selbst daran. Er begann, Worte zu murmeln, die Alice an die Gebete des Priesters in der Kathedrale erinnerten, denn sie klangen ebenso monoton und unverständlich. Allerdings waren die Anwesenden weitaus weniger diszipliniert als die Trauergäste bei Patricks Beerdigung und unterhielten sich munter weiter, wobei ihre Stimmen aber immer schleppender wurden. Alice nahm nur einen winzigen Schluck von dem Getränk, das eine energische Chan Nuk ihr hinhielt, ohne die verstörten Blicke der anderen Dorfbewohner zu beachten. Der Saft schmeckte süß und weckte unangenehme Erinnerungen an Kopfschmerzen, die von schwerem Portwein ausgelöst wurden. Andrés lehnte mit einer entschiedenen Handbewegung ab, was ihr unhöflich erschien. Sie überlegte, ob er schon als Kind so skeptisch gegenüber indianischen Sitten gewesen war und dadurch den Zorn seines Vaters auf sich gezogen hatte, doch dies war nicht der richtige Moment, um ihn zu fragen. Sie sah die alte Chan Nuk mit ein paar anderen Frauen sprechen, aber allmählich verstummten die Gespräche, da der Saft zu wirken begann. Die Anwesenden versanken in sich und suchten eine geeignete Stelle, um ins Reich der Träume zu gleiten.
    »Wenn du willst, können wir in unser Zelt zurückgehen«, murmelte Andrés an ihrer Seite. Für sie war all dies eine gleichzeitig befremdliche und faszinierende Erfahrung, doch er schien sich unwohl zu fühlen.
    »Gehe vor, ich komme gleich nach«, versprach Alice, denn sie wollte noch nicht gehen. Gleichzeitig war sie sich nicht sicher, ob ihre Anwesenheit bei einem derart eigentümlichen Ritual wirklich erwünscht war. Die Anwesenden nahmen sie kaum noch wahr. Wurde sie nicht noch mehr zum Eindringling, wenn sie sie in diesem wehrlosen Zustand beobachtete? Sie wollte Andrés bereits folgen, da tauchte plötzlich eine andere vertraute Gestalt an ihrer Seite auf.
    »Guten Abend«, sagte Ix Chel. Ihr Blick schien völlig klar, als habe auch sie nur kurz an dem Getränk genippt. Alice lächelte und erwiderte die Begrüßung.
    »Das wegen Patrick. Damit er kann mit Hach Winik reden«, fuhr Ix Chel fort. Sie hatte jedenfalls genug getrunken, um ohne Hemmungen deutsch zu sprechen. Alice fröstelte für einen Moment, denn Ix Chels letzte Bemerkung schien ihr ein schlechter Scherz.
    »Patrick ist tot. Er kann mit niemandem mehr reden«, zischte sie und fürchtete dann, zu schnell gesprochen zu haben, um verstanden zu werden. Aber Ix Chel schenkte ihr das übliche herzliche Lächeln.
    »Nun kann reden mit Hach Winik. Ist einer davon.«
    Alice erinnerte sich, dass dieses gemeinsame Plaudern und Trinken eine Zeremonie sein sollte. Sie begann zu ahnen, welchem Zweck sie diente.
    »Was bedeutet das, Hach Winik?«, fragte sie.
    »Wahre Menschen. Patrick jetzt auch Hach Winik. Ich kann reden mit ihm. Jetzt und auch

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