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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Schläfen, wie sie es von süßem Portwein kannte. War es möglich, dass der Schluck aus dem Becher ihr die seltsamen Bilder der gestrigen Nacht geschenkt hatte? Chan Nuk brachte Wasser, Weintrauben und Maisfladen herein wie jeden Morgen. Alice bedankte sich wie gewohnt mit einem Kopfnicken. Es wurde ihr allmählich unangenehm, ständig bedient zu werden, aber die Heilerin traute ihr offenbar immer noch nicht zu, sich selbst und ihren Mann versorgen zu können.
    Es war an der Zeit aufzubrechen.
    Die Abreise fand bereits zwei Tage später statt. Chan Nuk überreichte Alice ein weiteres aus Pflanzenfasern gesponnenes Band, das sie sich um den Hals wickeln sollte, um unterwegs vor bösen Geistern geschützt zu sein. Ix Chel umarmte sie zum Abschied, Chan K’in sprach ein paar Worte, die Alice nicht verstand, und vier kleine Mädchen schenkten ihr einen Kranz aus Blüten. Alice war über diese unerwartete Gabe so erfreut, dass sie das neugierige Zupfen an ihrem Haar widerspruchslos hinnahm. Die Dorfbewohner begleiteten sie und Andrés zum Ufer des Usumacinta, wo bereits eines der schmalen Indianerboote auf sie wartete. Alice hatte sich umgezogen. In dem weißen Kittel der Dschungelbewohner wollte sie niemandem begegnen, die Kleidung, mit der sie angekommen war, wies zu viele Risse auf, um verwendbar zu sein, doch zum Glück hatte Ix Chels Mutter ihr eine weitere Indianertracht eingepackt. Andrés trug seine zerschlissene Hose und den Xikul. Die Männer des Dorfes hatten ihm einen Bogen und mehrere Pfeile überreicht, zur Verteidigung und für die Jagd. Er versicherte Alice, im Umgang darin geübt zu sein, was sie ein wenig beruhigte.
    Als sie auf den Usumacinta hinausglitten, winkten die Dorfbewohner, liefen am Ufer entlang und lachten aufgeregt Vielleicht hatte Patrick jenes schlichte, naturverbundene Dasein gesucht, als er nach Mexiko aufgebrochen war. Sie hob die Hand, um zurückzuwinken. Sie wollte ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen – für ihre Genesung, die ihnen beiden erwiesene Gastfreundschaft und vor allem für die Gelegenheit, mit Ix Chel sprechen zu können. Aber sie konnte diesen Leuten keinen anderen Gefallen tun, als ihre Existenz weiter vor dem Rest der Welt geheim zu halten.
    Die Reise über den Fluss verlief problemlos. Sie mieden alle Hütten oder gelöschten Lagerfeuer, die auf die Nähe anderer Menschen hinwiesen. Chan Nuk hatte ihnen Maisfladen und Früchte mitgegeben, wovon sie sich den ersten Tag ernähren konnten. Abends legten sie an einer dicht bewaldeten Uferstelle an, versteckten das Boot im Gebüsch und übernachteten im Schutz der Bäume. Alice staunte, wie gut sie schlafen konnte. Der Dschungel hatte an Schrecken verloren.
    Am nächsten Morgen fuhren sie weiter, blieben dabei meist in Ufernähe, damit sie schnell im Wald verschwinden konnten, falls ihnen plötzlich Boote oder Baumstämme entgegenkommen sollten. Doch sie trafen niemanden. Eines Abends gelang es Andrés, mit seinen Pfeilen einen wilden Truthahn zu erlegen. Alice, die in ihrem Leben niemals ein Huhn zubereitet hatte, half fleißig beim Rupfen mit, denn das hatte sie von Chan Nuk gelernt. Dann drehten sie den riesigen Vogel auf einem Spieß über dem Lagerfeuer. Das Fleisch schmeckte erstaunlich gut, und sie konnten sogar Vorräte für den nächsten Tag mitnehmen.
    Zu ihrem Staunen erkannte Andrés die Stelle, wo sie zu Fuß weiterlaufen mussten. Wieder versteckten sie das Boot, um keine Verfolger anzulocken. Alice wusste, dass sie den Dschungel in etwa zwei Tagen verlassen würden. Der bevorstehende Fußmarsch schien ihr harmlos im Vergleich zu den bereits überstandenen Abenteuern. Bald schon wäre sie wieder in einer ihr einigermaßen vertrauten Welt, doch sie hatte kein Geld mehr, was die Rückkehr zu Hans Bohremann schwierig machte. Nach Palenque wäre es nicht so weit gewesen, aber sie konnte Dr. Scarsdale nicht mehr um Unterstützung bitten, ohne in Gefahr zu geraten. Der einzige Wertgegenstand in ihrem Besitz war die Kette, die sie nicht verkaufen wollte. Im Gegenteil, es galt, sie vor Dieben zu schützen, auch wenn sie hoffte, dass gewöhnliche Mexikaner ihren Wert nicht erkennen würden. Schweigend folgte sie Andrés durch das Dickicht, denn trotz aller Sorgen wuchs mit jedem ihrer Schritte der Wunsch, in die Zivilisation zurückzukehren.
    Sie erreichten das Dorf am nächsten Abend kurz vor Sonnenuntergang. Alice lachte fast vor Freude, als die ärmlichen Hütten im Dämmerlicht auftauchten, denn die Aussicht

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