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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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glatt.
    »Wir sollten schlafen gehen«, meinte sie und flüchtete in das Hotel. Der Anblick des uniformierten Portiers trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht. Wie hatte sie sich nur im Garten eines großen Hotels mitten in einer belebten Hafenstadt so gehen lassen können? Als die Zimmertür hinter ihr zugefallen war, lehnte sie sich heftig atmend dagegen. Die Grünwalds hatten recht gehabt, dieses Land war gefährlich, wenn auch auf andere Art als erwartet.
    Als sie erwachte, floss der Sonnenschein bereits heiß in ihr Zimmer. Er stach in ihre Augen, sodass sie ihre Lider wieder schloss. Schmerz pochte in ihren Schläfen. Der Tequila. Die Hitze. Dieses verfluchte Land.
    Erst als bereits schwüle Tageshitze herrschte, zwang sie sich, aus dem Bett zu kriechen, denn je länger sie dalag, desto heftiger schlugen Hämmer von innen gegen ihre Schädeldecke. Hilflos streckte sie die Hand nach einer Karaffe mit Wasser aus und leerte mehrere Gläser hintereinander. Der Kopfschmerz ließ ein wenig nach. Sie goss sich den Rest des Wassers über das Gesicht und hörte ein Klopfen an der Tür, das sie aufforderte, sich wieder dem Leben zu stellen. Alice bemerkte, dass sie in ihrem Leibchen geschlafen hatte. Das Kleid lag achtlos hingeworfen am Boden. Sie wickelte sich in die Decke und rief: »Entrez!«, denn sie hatte vergessen, wie man Leute auf Spanisch zum Eintreten aufforderte. Der Kopf von Juan Ramirez schob sich durch den Türspalt. Seine Frisur saß wieder tadellos, aber der strahlende Blick schien von Unsicherheit getrübt, irrte zunächst durch den Raum, bevor er sich auf Alice richtete.
    »Ich habe schon ein paarmal nach Ihnen sehen wollen, aber Sie schliefen noch. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.«
    Alice versicherte sogleich, wohlauf zu sein.
    »Wenn Sie noch ein Frühstück wollen, sollten Sie sich beeilen«, schlug er vor. Sie nickte und versprach, in einer Viertelstunde angekleidet zu sein. Nachdem die Tür wieder zugefallen war, lief sie zu dem Waschbecken in der Zimmerecke und stellte erleichtert fest, dass lauwarmes Wasser aus dem Hahn floss. Sie wusch sich mit einem Stück angenehm duftender Seife, zog dann einen dunkelblauen Leinenrock und eine weiße Bluse mit Puffärmeln, die bis zu den Ellbogen reichten, aus ihrem Koffer. Beides war auf dem Dampfer noch einmal gründlich gewaschen worden, sodass es für den ersten Tag in Veracruz reichen musste. Mit geübten Handgriffen schlang sie ihr Haar zu einem fest sitzenden Knoten, um sich dann noch einmal prüfend im Spiegel zu mustern. Ihr Gesicht hatte die vertrauten, ebenmäßigen Züge mit einer schmalen, vielleicht etwas zu langen Nase und grauen, ernsten Augen. Klassisch, so war es immer bezeichnet worden, fast makellos schön, wenn sie ihre Lippen geschlossen hielt und der leicht schiefe Schneidezahn verborgen blieb. Sie erinnerte sich, wie oft ihre Tante Grete, die sich nach dem Tod ihrer Mutter für ihre Erziehung zuständig fühlte, sie ermahnt hatte, beim Lächeln nicht den Mund zu öffnen, deshalb aber nicht ganz aufs Lächeln zu verzichten, da übertriebene Ernsthaftigkeit bei einem jungen Mädchen auf Verehrer abschreckend wirke. Eisprinzessin, Schneekönigin, spöttelte Harrys Stimme in ihrem Kopf. Was würde wohl zutage treten, wenn die sorgsam aufrechterhaltene Fassade der Unnahbarkeit in der Hitze Mexikos schmolz?
    Sie riss sich zusammen. Ein Moment der Schwäche war sicherlich verzeihlich angesichts der Umstände. Sie musste nur auf Patrick warten, herausfinden, in welche Schwierigkeiten er sich zu verstricken drohte, und dann konnte sie ihr vertrautes Leben in Berlin wieder aufnehmen. Mit entschlossen erhobenem Kopf ging Alice die Stufen hinab und wurde von dem Portier ins Speisezimmer gewiesen.
    Juan Ramirez wartete bereits, wieder mit tadellos gebundenem Plastron, einer dezent gemusterten Weste und Zähnen, die so weiß strahlten wie sein Hemd, als er sie zur Begrüßung anlächelte.
    »Da sind Sie ja. Was möchten Sie frühstücken?«
    »Zunächst einmal brauche ich Kaffee«, erklärte Alice, bevor eine Auflistung traditioneller mexikanischer Morgengerichte möglich war, der sie im Augenblick nur schwer hätte folgen können. In ihrem Kopf brummte immer noch ein letzter Rest von Schmerz. Juan Ramirez lachte kurz auf.
    »Das lässt sich einrichten.«
    Bald schon stand eine stark duftende Tasse vor ihr. Alice leerte sie schnell und fühlte neue Energie in ihrem Körper. Ihr Magen knurrte. Als ein Gericht aus Eiern und Bohnen folgte, war sie

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