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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Stadt.«
    Auf einem von ehrwürdigen Gebäuden umschlossenen, großzügig bepflanzten Platz tummelten sich Musikanten, Straßenhändler sowie Unmengen von Leuten, die einfach nur flanieren und miteinander plaudern wollten. Juan Ramirez wies auf den von prächtigen Arkaden durchbrochenen Regierungspalast und die schneeweißen Kuppeln der Kathedrale. Sie folgte mit dem Blick seiner Hand, wurde aber sogleich wieder von dem Menschengetümmel um sie herum abgelenkt. Farben überwältigten ihr vom Tequila berauschtes Gemüt. Veracruz war ein Ort der eitlen Pfauen, denn Frauen in bunt leuchtenden, weiten, gerüschten Röcken spazierten neben Männern, deren Aufmachung eine etwas bescheidenere Ausgabe des Chorro der Mariachi war. Kurz schloss Alice die Augen und sah diesen Ort auf ihrer Leinwand, ein durch Pinselstriche und Ölfarben dauerhaft fixierter Augenblick.
    »Hier wird gleich getanzt werden«, erzählte Juan Ramirez. »Der Danzon. Flüchtlinge aus Kuba haben ihn hier vor einigen Jahrzehnten beliebt gemacht. Es ist ein einfacher Volkstanz, aber vielleicht wollen Sie eine Weile zusehen.«
    Alice war zu einem stetig nickenden Wesen geworden, das sich widerstandslos lenken ließ. Vor zahlreichen Cafés waren Stühle aufgestellt, und Juan erkämpfte zwei freie Plätze. Er bestellte ihnen starken, aromatisch duftenden Kaffee, der in Alice’ Kopf für ein wenig Ernüchterung sorgte, doch diese wurde bald schon von lauer Abendluft und dem Anblick zahlreicher Paare in strahlend bunter Kleidung, die sich auf dem Platz aufstellten, vertrieben. Die weiten Röcke der Frauen erinnerten an Schmetterlingsflügel, bunte Blumen leuchteten an pechschwarzen Flechtfrisuren, und auf den Köpfen der Männer ruhten breitkrempige, mit glitzernden Bändern verzierte Hüte. Alice ahnte, dass sie diese Aufmachung zu Hause vielleicht als allzu grell empfunden hätte, doch sie passte in dieses Land mit seiner schwülen Luft, die verborgene Sehnsüchte an die Oberfläche lockte. Musiker stellten sich auf dem Platz auf. Sie trugen klassisch geschnittene Anzüge und begannen, eine bedächtige, durchaus elegante Melodie zu spielen, die Paare jedoch unterhielten sich völlig unbeirrt weiter. Dann begann plötzlich der Tanz, ausgelöst durch ein Zeichen, das alle zu kennen schienen, obwohl es Alice entgangen war. Die Paare umarmten sich wie bei einem Walzer und vollführten alle exakt dieselbe Schrittfolge, was sie in ein bewegliches Muster auf dem Platz verwandelte. Nach einer Weile hörte der Tanz ebenso abrupt wieder auf, obwohl das Orchester weiterspielte. Erneut lachten und redeten die Paare, einige verharrten dabei in ihrer Umarmung, die sogar enger wurde, da sie keine einstudierten Bewegungen mehr ausführten. Bald schon begannen sie alle von Neuem, ihre Tanzschritte darzubieten. Die weiten Röcke entfalteten schwingend ihre Farbenpracht, Körper bewegten sich geschmeidig, doch sie blieben eine aufeinander abgestimmte Einheit, fast wie eine professionelle Tanztruppe, die ihre Choreografie sorgfältig einstudiert hatte. Alice staunte, zu wie viel Disziplin diese lauten, impulsiven Menschen fähig waren.
    »Gefällt es Ihnen?« Juan Ramirez beanspruchte wieder ihre Aufmerksamkeit. Sie bejahte und wandte sich in seine Richtung, denn ihr wurde bewusst, dass jene häufige Geistesabwesenheit, zu der sie neigte, anderen Menschen sehr unhöflich erscheinen musste.
    »Meine Eltern haben hier früher oft getanzt. Meine Schwester und ich saßen ein Stück daneben unter den Bäumen und sahen zu.«
    »Sie stammen aus Veracruz?«, fragte Alice interessiert. »Ich dachte, Sie kommen auch aus Chiapas, weil Ihre Schwester dort geheiratet hat.«
    »Männer aus Chiapas können auch manchmal Veracruz besuchen. Es ist eine wichtige Hafenstadt«, belehrte er sie nachsichtig. »Meine Eltern hatten hier am Hafen eine Imbissbude. Meine Schwester Rosario begegnete dort dem reichen Deutschen. Sie verkaufte ihm eine Schüssel ihrer selbst gekochten Fischsuppe, die so hervorragend schmeckte, dass er immer wieder kam.«
    Er lachte und ließ Alice erneut seine makellosen Zähne bewundern. Es erstaunte sie, dass dieser sorgfältig herausgeputzte, betont kultivierte Mann von jenen schlichten Menschen abstammen sollte, die sie am Hafen gesehen hatte. Auf einmal wollte sie mehr über ihn erfahren, wagte es aber nicht, direkte Fragen zu stellen, denn die Erziehung zu damenhafter Diskretion saß tief. So verging der Abend mit angenehmem, wenn auch belanglosem Geplauder, und

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