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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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ansah. Vielleicht war es nicht so verkehrt, wenn mehr aus ihrem Inneren nach außen drang.
    Sie nahm seine Umarmung als selbstverständlich hin, schmiegte sich an einen Körper, der anders als der ihre nicht nach Schweiß roch, und sank in einen Kuss. Diesmal war es kein ungeduldiges Drängen, das sie zueinandertrieb, sondern eine erste, zaghafte Annäherung, in der die Hoffnung auf das Wachsen von Vertrautheit lag. Hand in Hand schlenderten sie zu dem Boot zurück. Alice verdrängte die geplante rasche Rückkehr nach Berlin, wollte sich nicht den Kopf zerbrechen, wie all das weitergehen sollte, sondern nur den Augenblick genießen. Mit halb geschlossenen Augen saß sie im Boot, ergriff schließlich eines der Ruder, damit Juan Ramirez weiterhin ihre Hand halten konnte. Auf diese Weise kamen sie nur langsam voran, erreichten aber dennoch den Hafen von Veracruz.
    Das städtische Treiben brachte eine gewisse Ernüchterung, aber Juan Ramirez hatte entschlossen seinen Arm unter ihren Ellbogen geschoben, während er sie zurück zum Hotel lotste. Alice fühlte ihr Herz hüpfen. Bei Harry hatte sie sich niemals so beschwingt, so vogelfrei gefühlt. Das also war jene Verliebtheit, von der die anderen Mädchen im Café Josty geschwärmt hatten und die ihr stets albern, wenn nicht gar gefährlich erschienen war.
    Sie durchquerten den Garten und betraten das Hotel. Dann teilte der Portier ihnen mit, dass sie bereits erwartet würden, und wies in den Speisesaal.
    »Americano«, verstand Alice, doch sie konnte damit zunächst nichts anfangen. In dem Saal sah sie einen kleinen, hageren Mann in einem schäbigen Anzug, der sie durch dicke Brillengläser anblickte, während er aufstand und auf sie zukam. Er schien ihr in diesem Moment hoffnungslos europäisch, vergeistigt und gehemmt, doch als er auf Englisch zu reden begann, war der amerikanische Akzent nicht zu überhören.
    »Miss Wegener? Es ist mir eine Ehre, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Ich bin Jonathan Scarsdale.«
    Er streckte ihr seine Hand entgegen, die sie höflich ergriff. Seine Haut fühlte sich trocken an wie altes Papier. Sie ertastete ein paar Schwielen unterhalb des Daumens, ein Widerspruch zu seiner intellektuellen Erscheinung. Juan Ramirez trat an ihre Seite.
    »Schön, Sie wiederzusehen, Doctor«, sagte er, ebenfalls auf Englisch. In dieser Sprache war sein Akzent wesentlich ausgeprägter. »Ist Patrick auch schon hier?«
    Alice befand, dass Verliebtheit tatsächlich bedenkliche geistige Verwirrung auslöste. Wie hatte sie den Namen des Archäologen, mit dem ihr Bruder zusammenarbeitete, nicht gleich erkennen können? Erwartungsvoll sah sie sich um, doch sie konnte Patrick nirgendwo entdecken. Es passte nicht zu ihm, ständig andere Leute zu schicken, anstatt sie selbst zu empfangen, doch vielleicht war er ganz von seiner Arbeit in Anspruch genommen, ein Zustand, den sie selbst gut kannte.
    »Wann kommt denn mein Bruder?«, fragte sie ungeduldig. Dr. Scarsdale wich ihrem Blick aus. Sein linkes Augenlid zuckte leicht. Sie bemerkte dunkle Schatten unter seinen Augen, die ihn sehr erschöpft, fast ausgelaugt wirken ließen.
    »Bitte setzen Sie sich für einen Moment, Miss Wegener«, sagte er. Alice gehorchte, auch wenn es sie verärgerte, dass er ihre Frage nicht gleich beantwortete.
    »Un tequila por la señorita!«, rief Dr. Scarsdale dem Portier zu. Alice hob abwehrend die Hände. Sie hatte für den heutigen Tag bereits genug von diesem Getränk und wollte zudem gern selbst bestimmen, was sie bestellte.
    »Bitte, Miss Wegener, hören Sie mir jetzt zu.«
    Dr. Scarsdale setzte sich an ihre Seite. Angst lag in seinen Augen, jene nervöse Art von Angst, die Vögel erschrocken aufflattern und Mäuse in Löchern verschwinden ließ, wenn laute Geräusche erklangen.
    »Ich muss Ihnen etwas mitteilen.«
    »Was denn bitte?«, drängte Alice, als er ein paar Sekunden lang geschwiegen hatte. Eine ungute Ahnung drückte ihren Magen zusammen.
    »Miss Wegener … es tut mir außerordentlich leid, aber … aber Ihr Bruder wird nicht kommen.«
    Alice legte die Hände auf den Tisch. Sie wollte eine sichere, verlässliche Fläche spüren, an der sie sich würde festhalten können.
    »Warum sollte er denn nicht kommen?«, fragte sie scharf, fast wütend. Irgendein böses Spiel war im Gange. Dr. Scarsdale wartete, bis der Tequila vor ihr stand. Sie atmete nur kurz den Alkoholgeruch ein, doch er schien auf einmal ekelerregend. Unter der dünnen Haut des Archäologen waren

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