Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
Vom Netzwerk:
dass sie zusammenfuhr. Ein jüngerer, ebenso vornehm gekleideter Mann erschien, um die Tasse bis zum Rand mit schäumender Milch vollzugießen. Obwohl Alice diese Prozedur etwas umständlich erschien, wurde ihr bereits nach dem ersten Schluck klar, dass sie niemals köstlicheren Kaffee getrunken hatte.
    »Das Café del Portal hat einen sehr guten Ruf in Veracruz«, bestätigte Juan Ramirez diese Erkenntnis. Alice bestellte sich ein Stück Sahnetorte. Der Heißhunger, den sie plötzlich empfand, schien ihr ein Geschenk des Himmels, denn mit jedem Bissen fühlte sie ihre Lebensgeister erwachen. Sie hatte sich lange genug gehen lassen.
    »Es freut mich sehr, dass Sie sich wieder besser fühlen«, sagte Juan Ramirez. Sie lächelte ihn scheu an. Dies waren die ersten freundlichen Worte, die er gesprochen hatte, seit sie unerwartet vor seiner Zimmertür aufgetaucht war. Vielleicht hatte er sich nur von ihr ferngehalten, um sie zu schonen. Es war falsch, von Männern allzu viel zu erwarten, hatte Tante Grete sie stets ermahnt, in emotionalen Angelegenheiten stellten sie sich oft ungeschickt an, dies sei eben ihr Naturell. Alice hatte ihre Tante daraufhin einmal gefragt, wozu eine Frau denn überhaupt Männer in ihrem Leben brauche, wenn diese doch hauptsächlich grobe Klötze waren, und sich als Antwort eine Backpfeife eingehandelt.
    Juan sah ihr für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen, und sie glaubte, das vertraute Strahlen in ihnen aufblitzen zu sehen. Dann blickte er rasch zum Fenster.
    »Das verspricht wieder ein sehr heißer Tag zu werden. Vielleicht möchten Sie ihn doch lieber im Hotel verbringen.«
    Alice schluckte. Diese Worte grenzten bereits an Unhöflichkeit. Aber sollte sie ihn anflehen, sie weiter in der Stadt herumzuführen? Sie kam sich vor wie ein grober Klotz, wenn sie so kurz nach Patricks Tod nach Vergnügungen suchte, doch sie fürchtete sich vor der stillen Einsamkeit des Hotelzimmers, wo sie ihren Gedanken und Albträumen ausgeliefert wäre. Ihre Finger verkrampften sich. Irgendwie musste sie die Zeit überbrücken, bis eine Antwort von Tante Grete eintraf. Sie blickte ebenfalls durchs Fenster nach draußen und sah zwei Mädchen mit geflochtenen Zöpfen vorbeigehen. Ihre strahlend bunte, mit Stickereien verzierte Kleidung wies sie eindeutig als Indio-Frauen aus. Alice’ Blick folgte ihnen, bis sie um die Ecke verschwunden waren, saugte sehnsüchtig die Farbenpracht in sich auf.
    Sie wusste, wie sie die restliche Zeit in dem Hotel verbringen würde. Sobald sie ihre Leinwand aufgebaut und bespannt hatte, würde sie endlich wieder das tun, wozu sie sich wirklich geschaffen fühlte.
    »Die Antwort Ihrer Tante dürfte schon im Laufe des nächsten Tages eintreffen.« Juan Ramirez riss sie aus ihren Gedanken. »Danach können Sie die Rückreise antreten. El doctor hat sich bereits umgehört. Übermorgen fährt ein Dampfschiff nach Europa, nach Liverpool, doch von dort aus könnten Sie den Zug nehmen. Ich habe mich am Hafen erkundigt, ein Umtausch Ihrer Fahrkarte wäre möglich.«
    Alice ließ ihre Kuchengabel, mit der sie ein paar Krümel aufgesammelt hatte, so rasch fallen, dass es laut klirrte.
    »Ich habe Dr. Scarsdale ausdrücklich gesagt, dass ich zunächst hier in Mexiko bleiben will«, erwiderte sie. Erneut drehten sich ein paar Köpfe um, denn für gewöhnlich traute man zerbrechlichen Blondinen keine besondere Stimmgewalt zu.
    Juan Ramirez wich unmerklich zurück. »Jetzt hast du es endgültig verdorben«, flüsterte Tante Grete in Alice’ Kopf.
    »Mademoiselle Wegener, ich bitte Sie, es wäre doch nur in Ihrem Interesse. Dieses Land ist Ihnen völlig fremd, und die Umstände machen es kaum möglich, dass Sie noch große Freude daran finden könnten, es genauer kennenzulernen. In Ihrer schweren Lage braucht ein Mensch die Nähe und Wärme seiner Familie.«
    Er hatte sich leicht vorgebeugt und beide Hände auf den Tisch gelegt. Nur ein paar Zentimeter trennten seine Finger von den ihren, doch obwohl er wieder lächelte, spürte sie sehr deutlich, dass etwas sich verändert hatte. Die leichte, spielerische Vertrautheit, die zwischen ihnen innerhalb einiger Tage gewachsen war, war verschwunden.
    Kurz senkte sie den Blick. Es war ihr auf einmal peinlich einzugestehen, dass in Wirklichkeit niemand auf sie in Berlin wartete. Harry hatte sich vermutlich schon anderweitig getröstet, und die Vorstellung, Tante Grete vor die Augen treten zu müssen, weckte tiefes Unbehagen in ihr. Patrick war der

Weitere Kostenlose Bücher