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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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bereits seit der Zeit der Azteken«, wurde sie von Dr. Scarsdale belehrt, der seit dem Vorfall beim Frühstück von ausgesuchter Freundlichkeit war. Alice stellte fest, dass es ihr trotzdem nicht besonders schmeckte, doch sie trank tapfer weiter, um nicht unhöflich zu sein. Beim nächsten kurzen Rastplatz erwarben sie noch ein paar Tortillas, da ihre Mägen allmählich zu knurren begannen. Zwar reisten sie zweiter Klasse, aber der Zug war fast leer, sodass sie die Beine ausstrecken und immer wieder kurze Nickerchen einlegen konnten. Eine Flasche Tequila aus den persönlichen Vorräten von Juan Ramirez machte die Runde. Alice fiel recht schnell in einen tiefen Schlaf, den nur einzelne spanische Wortfetzen aus der Unterhaltung ihrer zwei Mitreisenden durchdrangen.
    »Sabe nada«, meinte sie zu verstehen, doch als sie kurz die Augen öffnete und murmelte, wer denn nichts wusste, wurde es schlagartig still.
    »Sie haben geträumt«, versicherte Juan Ramirez lächelnd. »Wir sprachen über die aktuelle Politik des Präsidenten Porfirio Díaz und sind eigentlich beide der Meinung, dass er genau weiß, was er tut.«
    Alice nickte gähnend und schlief weiter. Es war unglaublich, wie müde dieses Reisen sie machte.
    Kurz darauf wurde sie aber noch mal geweckt, denn sie hatten das Ziel ihrer Bahnfahrt erreicht, ein mittelgroßes Städtchen namens San Juan Guichicovi. Außer ihnen stiegen nur ein paar mit Lasten beladene Indios aus dem Zug, und der Ort als solcher schien eine überschaubare Ansammlung aus Häusern mit einer Kirche und dem üblichen begrünten Platz, Alameda genannt. Geplant war, Pferde, Lasttiere und auch einen indianischen Führer aufzutreiben, denn von hier aus sollte der Weg durch das Gebirge der Sierra Madre beginnen. Wieder fand sich eine kleine Herberge, und während Alice dort am frühen Abend im Patio saß, bemerkte sie hinter der geöffneten Tür eine Prozession vorbeiziehender indianischer Frauen, die bunte Federn schwangen, Flöten spielten und eine kleine Heiligenfigur auf einem Podest vor sich hertrugen. Ihre Kleidung war weitaus prächtiger, als sie es bisher bei Indios gesehen hatte. Riesige leuchtend bunte Stickereien zierten Röcke und Blusen, am Saum hing noch eine breite Schicht weißer Spitze, die den Gewändern mehr Schwung verlieh. Wieder bewunderte Alice Flechtfrisuren, in denen frische Blüten steckten, oder aus weißer Spitze gefertigte Kopfbedeckungen. Rasch lief sie zum Eingangstor des Patio, um besser sehen zu können, und zog den Skizzenblock aus ihrem Ridikül. Wenigstens ein paar Eindrücke musste sie mit Bleistift festhalten, denn diese Frauen schienen ihr das Schönste, was sie bisher in Mexiko zu Gesicht bekommen hatte. Wie steif und künstlich waren im Vergleich dazu all jene vornehmen Damen, die in Veracruz französische Mode vorgeführt hatten! Alice ließ ihren Stift über das winzige Blatt Papier gleiten, um möglichst viele von den dunklen Gesichtern mit ihren buschigen Brauen und schmalen, wachen Augen einzufangen. An diese Farben würde sie sich erinnern können, das wusste sie.
    Hinter ihr knirschten Schritte, und sie fuhr verärgert herum.
    »La Señorita quiere fumar?«
    Wider Willen besserte sich Alice’ Laune angesichts eines schmalen, braunen Zigarillos in den gepflegten Händen von Juan Ramirez. Die eigenen Zigaretten waren ihr gestern ausgegangen, und sie hatte Dr. Scarsdale nicht weiter verärgern wollen, indem sie die nächste Abreise unnötig verzögerte, um Einkäufe zu erledigen. Juan Ramirez setzte sich in einen Stuhl an ihrer Seite und streckte die Beine aus. Sie bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er sehr gut aussah. Kurz nach der Ankunft in der Herberge musste er ebenso wie sie selbst eine schnelle Wäsche vorgenommen und frische Kleidung angezogen haben.
    »Ich habe den Eindruck, es gefällt Ihnen weiterhin in unserem Land«, meinte er und blies Rauschschwaden in die warme Abendluft.
    Alice fragte sich, ob dies ein Vorwurf sein sollte, dass sie den Tod ihres Bruders allzu schnell überwand.
    »Die Reise ist notwendig. Ich versuche, das Beste aus ihr zu machen.«
    Juan Ramirez nickte.
    »Darf ich?«, fragte er und blickte auf ihre Zeichnung, ohne eine Antwort abzuwarten.
    »Sehr geschickt dafür, dass es nur eine Skizze ist. Sie haben wirklich Talent.«
    »Muchas gracias. Kann es sein, dass ich deshalb auch schon eine Ausstellung hatte?«
    Alice schnaubte leise und stellte zu ihrem Ärger fest, dass sie sich trotzdem über das Lob freute. Juan Ramirez

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