Der Duft des Regenwalds
Plantage zu begleiten, ärgerlich fanden, so ließen sie es sich nicht anmerken, sondern behandelten Alice weiterhin mit zuvorkommender Höflichkeit. Ihre verschwitzte Reisekleidung wurde gründlich gewaschen und kam perfekt gebügelt wieder in ihrem Zimmer an. Sie erhielt zudem eine geschmackvoll bestickte Gobelintasche, da es für ein paar Tage nicht nötig wäre, einen ganzen Koffer zu packen. Alice fragte sich, ob es etwas gab, das Rosario nicht voraussah und plante, und kam nicht gegen das Gefühl an, einer eindrucksvollen Gegnerin die Stirn bieten zu müssen.
Am Tag der Abreise wurde die Tasche von Marcella nach unten getragen und einigen Männern übergeben, die sie auf den Rücken eines Maultieres banden. Alice stellte erleichtert fest, dass man wieder eine Sänfte für sie vorbereitet hatte. Sie besaß keine vorzeigbare Reitkleidung und hätte es nicht gewagt, neben Hans Bohremann in weiten Indio-Röcken auf ein Pferd zu steigen. So begann sie in sehr bequemer Lage den Abstieg vom Gebirge der Sierre Madre zur Pazifikküste, wo wieder tropische Gewächse und feuchtschwüle Hitze auf sie warteten.
Die Plantage trug den Namen Lubeka, da die Bohremanns ursprünglich aus Lübeck eingewandert waren. Während der zwei Tage, die der Abstieg zum Küstengelände dauerte, berichtete der Kaffeebaron Alice mit redseliger Offenheit von seinen Vorfahren. 1860 hatte sein Großvater noch auf einem Segelschiff die monatelange Reise nach Guatemala hinter sich gebracht, um dort zunächst als Verwalter auf der Plantage eines anderen Deutschen zu arbeiten. Er bekam nur einen Hungerlohn und lebte kaum besser als die Arbeiter. Nach zehn Jahren konnte er endlich eigenes Land erwerben, was stets sein Traum gewesen war. Die Familie lebte dort im Dschungel unter noch primitiveren Bedingungen als auf der Plantage. Sie mussten sich mit eigenen Händen ein Haus bauen und dann Bäume fällen, um Felder anlegen zu können. Zwei Tanten von Hans Bohremann starben bereits im ersten Jahr an einem schweren Fieber, ausgezehrt von harter Arbeit und einem ungesunden Klima. Er hatte sie niemals kennengelernt, aber er wusste, dass seine Großmutter den Verlust ihrer einzigen Töchter niemals überwunden hatte. Er selbst hatte Glück, denn als er geboren wurde, begann die kleine Kaffeeplantage bereits genug Gewinn abzuwerfen, um ihm das Leben in einem Steinhaus und den Besuch einer Schule zu ermöglichen.
»Mit einundzwanzig Jahren wurde ich für ein Jahr nach Deutschland geschickt«, erzählte er, während sein Pferd neben Alice’ Sänfte einherschritt. »Ich sollte Möglichkeiten finden, wie wir unseren Kaffee besser vermarkten konnten. Bereits auf der Überfahrt lernte ich die Repräsentanten zweier großer Handelshäuser kennen, die mir von den Möglichkeiten in der Gegend von Soconusco erzählten. Porfirio Díaz, der neue Präsident von Mexiko, verteilte das Land sehr günstig an europäische Siedler. Man musste nur ein Drittel bezahlen, den Rest erhielt man umsonst. Ich erkannte unsere Chance und schrieb meinem Vater, sobald ich in Lübeck angekommen war. Bereits nach zwei Monaten trat ich die Rückreise an, nachdem ich von einer Bank Kredit erhalten hatte. So erwarb ich vor zehn Jahren mein Land.«
Alice fühlte sich wider Willen beeindruckt, denn sie achtete Menschen, die ihren eigenen Weg gingen. Hans Bohremann hatte sich Ziele gesetzt und diese Schritt für Schritt verwirklicht.
»Lebten Sie denn anfangs auch im Dschungel?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, für mich war es bereits leichter. Ich konnte Mexikaner bezahlen, die Arbeitskräfte für mich anwarben. Andernfalls wäre es mir gar nicht möglich gewesen, eine so große Fläche von teilweise sehr bergigem Land urbar zu machen. Wasserbecken und Schleusen mussten für die Verarbeitung der geernteten Kaffeekirschen angelegt werden. Ich brauchte Maschinen zur Entpulpung, also das Ablösen des Fruchtfleisches von der Bohne, und außerdem musste ein kleines Wasserkraftwerk errichtet werden, um diese Maschinen zu betreiben. Alle dazu notwendigen Geräte musste ich in Deutschland erwerben und über den Ozean transportieren lassen. Außerdem war es gar nicht so einfach, die Genehmigung zur Nutzung des Flusses für mein Kraftwerk zu bekommen. Nach der Ernte werden die Bohnen zum Trocknen ausgelegt und dann in Säcke gepackt. Für den ganzen Prozess ist eine Vielzahl an Arbeitern nötig. Eine Familie allein schafft das bei einer Plantage dieser Größe nicht. Die Röstung der Bohnen
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