Der Duft des Regenwalds
etliche Leute auf den Feldern und auch um das Herrenhaus herum. Es war kein solcher Prachtbau wie die Hazienda, aber dennoch ein hübsches Haus aus weißem Stein mit einer großen Veranda, die Ausblick über die Weite der Landschaft bot.
Hans Bohremann sprang vom Pferd und war sogleich von einer Handvoll Männer umringt, die ihn mit Fragen überhäuften. Alice stieg aus ihrer Sänfte und fühlte sofort neugierige Blicke auf sich ruhen. Sie setzte ihren breiten Hut auf, um ihr blondes Haar so weit wie möglich zu verbergen.
»Kommen Sie her. Ich werde Sie vorstellen«, rief Hans Bohremann ihr nach einer Weile zu, und sie folgte der Aufforderung. Sobald sie neben dem Kaffeebaron stand und er sie als seinen Gast bezeichnet hatte, senkten sich ein paar Köpfe, und Begrüßungen wurden gemurmelt. Alice wurde wieder einmal bewusst, wie sehr sie hier in dieser Wildnis männlichen Beistand brauchte.
»Das ist Alfons Kernhagen, mein Verwalter«, erklärte Hans Bohremann und wies auf einen stämmigen Kerl mit freundlicher Miene, dessen Haut ebenso sonnenverbrannt war wie die der anderen Männer. Allein seine Größe ließ auf eine nördliche Herkunft schließen.
»Die Übrigen sind Arbeiter, die auf der Plantage leben und sie instand halten. Die Leute für die Ernte werden erst in den nächsten Wochen eintreffen, aber ein paar der Kirschen scheinen bereits reif, sodass man sie pflücken sollte.«
Er wandte sich wieder an seine Arbeiter und begann auf Spanisch Anweisungen zu erteilen. Sie trabten los, und er führte Alice zu dem Herrenhaus, wo sie von einer großen, dünnen Blondine in Empfang genommen wurde. Alice wurde bewusst, dass sie sie vermutlich auf eine unhöfliche Art anstarrte, denn es war sehr lange her, seit sie eine Frau gesehen hatte, deren Haarfarbe der ihren glich.
»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer«, sagte die Frau barsch in einem schwer verständlichen Dialekt, sodass Alice sich wünschte, sie würde Spanisch mit ihr sprechen.
»Sind Sie …?«
»Isolde Kernhagen aus Ulm. Wir sind seit zwanzig Jahren hier. Sie sind neu, wie ich gehört habe.«
Allmählich wurde das Deutsch verständlicher, vielleicht weil Isolde sehr laut sprach, als halte sie Alice für schwerhörig.
»Ich lebe in Berlin. Ich bin nur auf einer Reise hier.« Alice wollte die Unterhaltung fortsetzen, erhielt aber nur ein knappes »hm« als Antwort. Dann wurde sie auf fast grobe Weise in ein kleines Zimmer geschubst.
»Hier sollen Sie schlafen, hat der Patron gesagt.«
Die Tür fiel zu. Alice schnappte nach Luft angesichts dieser Unverschämtheit, dann sah sie sich um. Der Raum war kleiner und spärlicher eingerichtet als ihr Zimmer auf der Hazienda, doch sie hatte während der Reise nach Chiapas in Herbergen übernachtet, wo es viel schlimmer ausgesehen hatte. Zumindest schien hier alles sauber und frei von Ungeziefer. Alice wartete geduldig, bis ihre Gobelintasche hereingeschoben wurde, dann packte sie eine frische Bluse aus und wartete erneut. Tatsächlich wurde bald ein Bottich mit warmem Wasser gebracht. Auch hier schien alles perfekt organisiert, als reiche der Arm von Rosario Bohremann sogar an jene Orte, an denen sie selbst sich nicht aufhielt.
Ungefähr eine Stunde später wurde Alice von einer mürrischen Isolde Kernhagen mitgeteilt, dass gerade Essen aufgetragen worden sei. Sie war erleichtert, denn ihr Magen knurrte bereits erbärmlich. Wieder einmal erwachte die Sehnsucht nach einer richtigen Stadt wie Veracruz, wo es nicht schwierig gewesen war, sich schnell etwas zu essen zu besorgen. Hier auf dem Land war sie von ihren Gastgebern abhängig.
Isolde führte sie in einen mittelgroßen Raum, wo bereits ein gedeckter Tisch wartete. Hans Bohremann saß dort neben seinem Verwalter. Die anderen Arbeiter, vermutete Alice, waren hier nicht willkommen. Lediglich Isolde setzte sich noch dazu. Das Essen wurde von einer indianischen Magd aufgetragen. Es gab Rindfleisch, Kartoffeln und Bohnen. Alice griff gierig zu und ignorierte das beharrliche Schweigen um sie herum.
»Fräulein Wegener ist die Schwester des verstorbenen Archäologen Patrick Wegener«, sagte Hans Bohremann unvermittelt. Alice blickte kurz auf. Alfons Kernhagen schien überrascht zu sein. Seine Frau murrte leise.
»Sie wollte sehen, wo ihr Bruder die letzten Monate seines Lebens zubrachte, und wünschte deshalb nach Chiapas zu kommen«, setzte der Kaffeebaron seine Erklärung fort.
»Hier gibt’s aber nichts zum Ausgraben für Archäologen«, erwiderte Isolde
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