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Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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sie annahm, dass sie mir Spaß machen würde: ihre Penny-Sammlung in Papier zu wickeln, damit wir sie zur Bank bringen konnten (was hieß, dass ich die Münzen zur Bank bringen und sie wie immer im Auto sitzen bleiben würde). Ich würde dann zehn Prozent der Gesamtsumme bekommen, was mit etwas Glück fünfunddreißig Cent waren.
    Sie sehen wie eine Prinzessin aus, sagte Keith zu meiner Mutter. Ich weiß, das hört sich dumm an, aber ich kenne nicht mal Ihren Vornamen. In unseren Akten im Büro haben wir nur Ihren Nachnamen und Ihre Kundennummer.
    Keith sah ziemlich jung aus. Ich war selbst zu jung, um den Altersunterschied zwischen fünfunddreißig und fünfundzwanzig richtig einschätzen zu können, aber Keith war vielleicht noch keine fünfundzwanzig. Als er mein Heft sah, das wieder auf dem Küchentisch lag, sagte er, Ach, du gehst zur Pheasant Ridge School. Da hab ich meinen Abschluss gemacht. Und er nannte mir den Namen einer Lehrerin, als müsste ich die kennen.
    Nicht mal zwei Stunden, nachdem die beiden aufgebrochen waren, kam meine Mutter schon wieder nach Hause.
Falls Keith sie zur Tür gebracht hatte, war es mir entgangen. Er kam jedenfalls nicht rein.
    Man erfährt viel über Menschen, wenn man mit ihnen tanzt, sagte sie. Das war ein Mann ohne jedes Rhythmusgefühl.
    Unter einem langsamen Tanz, erzählte sie, hatte er verstanden, sich auf einem Fleck hin und her zu wiegen und ihr dabei über den Rücken zu streichen. Außerdem roch er nach Heizöl. Und obwohl sie deutlich gemacht hatte, dass sie nicht an ihm interessiert war, hatte er versucht, sie zu küssen, bevor sie aus dem Auto stieg.
    Ich hatte mir nichts Großes erwartet, aber ich dachte, ich könnte es ja mal probieren, sagte sie. Jetzt weiß ich jedenfalls, dass ich keine Lust habe auf solche Verabredungen.
    Worauf sie Lust hatte, war romantische Liebe. Der geeignete Mann für meine Mutter – falls es ihn überhaupt gab – würde jedenfalls mit Sicherheit nicht bei einem Tanzabend in einem Provinzkaff zu finden sein.

    Am Labor-Day-Wochenende sollte man grillen, fand Frank. Das Problem war nur, dass wir abgesehen von Fertiggerichten kein Fleisch in der Tiefkühltruhe hatten.
    Ich möchte gerne für euch einkaufen, sagte er. Aber ich hab kein Geld.
    Von unserem letzten Besuch bei der Bank hatten wir noch jede Menge Zehn-Dollar-Scheine in der Ritz-Cracker-Dose auf dem Kühlschrank. Meine Mutter nahm drei heraus. Es war völlig untypisch für sie, öfter als alle paar
Wochen das Haus zu verlassen, aber jetzt verkündete sie, sie wolle zum Supermarkt fahren.
    Ich nehme an, du möchtest mitkommen, sagte sie zu Frank. Damit wir nicht abhauen können.
    Niemand lachte, als sie das sagte. Das sonderbare, leicht unbehagliche Gefühl, das ich die ganze Zeit hatte, rührte natürlich daher, dass ich nie ganz sicher sein konnte, wer Frank eigentlich war. Eigentlich kam er mir vor wie jemand, den wir eingeladen hatten, ein Gast von außerhalb, aber da war schließlich auch noch der Grund, warum er sich wirklich hier aufhielt.
    Als meine Mutter morgens in der geblümten Bluse und mit den luftigen Haaren in die Küche gekommen war, hatte Frank – nachdem er Kaffee und Brötchen auf den Tisch gestellt hatte – gesagt, sie solle keine krummen Dinger drehen.
    Ich möchte nicht gezwungen sein, irgendwas zu tun, was wir beide bereuen müssen, sagte er. Du weißt, was ich meine, Adele.
    Das hörte sich an wie aus einem alten Film, einem Western von der Sorte, die sonntagnachmittags im Fernsehen laufen. Aber meine Mutter hatte genickt und auf den Tisch geblickt wie ein Schulkind, dem der Lehrer gesagt hat, es soll seinen Kaugummi ausspucken.
    Nachdem Frank mit dem Pie fertig war, hatte er das Schälmesser eingesteckt. Unser schärfstes. Die Seidentücher hingen immer noch über einem Geschirrhandtuch neben der Spüle. Frank hatte meine Mutter kein zweites Mal gefesselt, aber jetzt wies er mit dem Kopf in Richtung der
Tücher, als sei keine weitere Erklärung nötig. Was für die beiden wohl auch zutraf. Nur für mich nicht.
    Ich wohnte hier. Sie war meine Mutter. Dennoch kam ich mir wie ein Eindringling vor. Hier passierte irgendwas, von dem ich nicht wusste, ob ich es wirklich mit ansehen sollte.

    Frank fuhr, meine Mutter saß auf dem Beifahrersitz und ich hinten. Die Rückbank hatten wir, soweit ich mich erinnern konnte, überhaupt noch nie benutzt. Wie in einer ganz normalen Familie, dachte ich. Vater, Mutter, Kind. Mein Vater sah uns immer gerne als so eine

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