Der Duft von Hibiskus
mit dem Holzeimer zwischen den Bäumen verschwand. Träumerisch dachte sie, dass er sich ganz und gar nicht mit Grausen von ihr abgewendet hatte. Und böse schien er ihr auch nicht zu sein, obwohl er in den nächsten Tagen deutlich mehr würde schleppen müssen als bisher.
Er war wirklich ein ungewöhnlicher Mensch.
Sie kehrte zu ihren Zeichnungen zurück. Der Schmerz in ihrem Unterleib kam nun in Wellen, doch Emma empfand ihn nicht mehr als Bedrohung. Stattdessen war sie zutiefst erleichtert. Sie hatte ein heikles Problem gelöst, und Scheerer hatte sich dabei als taktvoll und hilfsbereit erwiesen.
Seine Frau, dachte Emma, wo auch immer sie weilt, kann sich wirklich glücklich schätzen, einen solchen Mann zu haben.
11
S chon am Tage des vierten Advents hatten sich bedrohliche Wolkenberge aufgebaut, und in der Nacht begann es zu stürmen. Emma war vom Krachen des Donners erwacht und lag nun mit weit geöffneten Augen auf ihrer Wolldecke. Der Wind bauschte die Stoffwände ihres Zeltes wie Segel und ließ sie frösteln. Immerhin war der Zeltstoff wasserdicht, die Konstruktion hielt, und Emma wurde nicht nass. Vorerst.
Unaufhörlich zerrissen Blitze die Dunkelheit, gefolgt von weiteren Donnerschlägen. Die Pferde, die draußen angepflockt und dem Wetter schutzlos ausgeliefert waren, wieherten laut. Die Ochsen schienen weniger furchtsamer Natur zu sein, sie verhielten sich noch ruhig.
Ob die Forscher alle schliefen? Oder lauschten sie wie Emma dem Sturm? Ob auch sie sich fragten, wie lange so ein Zelt Wind und Regen standhielt?
Wiehern, Hufgetrappel, unterdrücktes Fluchen.
Rasch setzte Emma sich auf. Was war da draußen los? Sie streckte den Kopf aus dem Zelt, zuckte aber zurück, als jemand einen Kübel Wasser über ihrem Kopf ausleerte. Nach einer Schrecksekunde begriff sie: Draußen regnete es nicht, es schüttete!
Sie sah gerade noch, dass Scheerers Rappe davongaloppierte, er hatte sich wohl in Panik von seinem Pflock losgerissen. Scheerer selbst schwang sich im gleichen Moment auf Krügers Braunen, um die Verfolgung aufzunehmen. Zeit, um das Tier zu satteln, blieb ihm nicht, erkannte Emma; wenn er den panischen Orlando je wiederhaben wollte, durfte er ihn nicht aus den Augen verlieren. Mit kräftigen Schenkelstößen trieb Scheerer den Braunen an, doch das wäre gar nicht nötig gewesen: Das Pferd legte die Ohren an und stürmte mit Scheerer in den dichten Busch, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter ihnen her.
Keine drei Sekunden später waren Pferde und Reiter in Richtung Fluss verschwunden.
Emma zog sich in ihr schützendes Zelt zurück und legte sich hin, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Würde Scheerer Orlando einfangen können, und viel wichtiger: Würde er selbst heil zurückkommen?
Was, wenn der Braune bei der wilden Jagd stürzte und ihn unter sich begrub, und niemand war da, um Scheerer zu helfen?
Was, wenn er sich im Busch verirrte?
Nach einiger Zeit legte sich der Sturm. Blitze und Donner wurden seltener. Die Wassermassen aus dem Himmel wichen einem gleichmäßig prasselnden Regen.
Scheerer kehrte nicht zurück.
Emma saß nun im Schneidersitz in ihrem Zelt, hellwach lauschte sie auf jedes Geräusch von draußen. Seit Scheerers Aufbruch mussten Stunden vergangen sein. Hätte er nicht längst wieder da sein müssen? War ihm doch etwas passiert?
Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Sie schlüpfte in ihr Kleid, warf sich das Cape über und verließ ihr Zelt. Sie lief zu Oskar hinüber und rief leise: »Oskar, wach auf! Bitte wach auf, es ist etwas passiert.«
Verschlafen schlug Oskar den Zeltstoff zurück. »Emma! Was machst du denn da draußen im Regen? Geh wieder schlafen.«
»Eines der Pferde ist ausgerissen, und Scheerer ist ihm nachgeritten«, sagte sie hastig. »Er müsste längst zurück sein. Du musst ihn suchen, Oskar!«
»Ich?« Oskar lachte müde. »Ach, Kind, das hat doch keinen Sinn. Es ist dunkel, und es regnet. Alles ist schlammig, mein Pferd würde nur ausrutschen. Nein, nein, wir warten bis zum Morgen. Wenn wir gefrühstückt haben und Scheerer immer noch nicht da ist, kann ich ihn meinetwegen suchen. Oder Pagel übernimmt das, oder Krüger.«
»Wenn wir gefrühstückt haben?! Bis dahin ist es vielleicht zu spät!«
»Nun sei nicht so dramatisch. Scheerer ist ein erfahrener Mann, er weiß schon, was er tut. Und jetzt geh zurück ins Bett.«
»Aber …«
»Das war keine Bitte«, sagte Oskar, und jegliche Wärme war aus seiner Stimme verschwunden,
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