Der Duft von Hibiskus
und breit gibt es keine felsige Stelle. Ein paar Wurzeln, das war’s. Und die sind alle zu weit oben, als dass Orlando sie mit den Vorderhufen erreichen könnte. Er braucht das Gefühl festen Bodens unter sich, verstehen Sie? Sonst schafft er es nicht.«
Als hätte der Rappe die hoffnungslosen Worte verstanden, hörte er urplötzlich auf, sich gegen die Gewalt des Flusses zu wehren. Er stand jetzt ganz still in den Fluten und ließ es sogar zu, dass seine Nüstern vom Wasser überspült wurden.
Er gab einfach auf.
Verzweifelt riss Scheerer Orlandos Kopf mit den Zügeln hoch.
»Versuch es noch mal, verdammt! Versuch es, du musst es schaffen …«
Das Pferd fing wieder an zu kämpfen, bemühte sich erneut, Tritt zu fassen, doch vergebens.
Emmas Gedanken rasten. Blitzartig kam ihr eine Idee. Es war eine närrische Idee, aber vielleicht ihre einzige Chance, Orlando zu retten.
»Springen Sie ins Wasser!« Kurz entschlossen riss sie Scheerer die Zügel aus der Hand. »Ich halte Orlando fest.«
»Was soll denn das für einen Sinn haben? Außerdem, so stark sind Sie doch gar nicht, dass Sie Orlando …«
»Nun machen Sie schon!«, schrie sie.
Scheerer zögerte nur einen winzigen Augenblick lang. Dann sprang er.
Die Strömung riss an ihm, kurz schien es, als würde er selbst den Halt verlieren. Orlando, den wieder die Panik übermannte, zerrte an den Zügeln und warf den Kopf zur Seite, und es dauerte keine zehn Sekunden, bis er Emma von den Füßen gerissen hatte. Sie lag bäuchlings im Schlamm, das tobende Pferd zog sie gefährlich nah ans rauschende Wasser. Hastig griff sie nach einer knorrigen Baumwurzel und krallte sich mit der linken Hand daran fest, mit der rechten umklammerte sie eisern die Zügel.
»Piken Sie Orlando in den Bauch!«, schrie sie.
Scheerer schaute sie fassungslos an. Doch dann tauchte er seinen Arm neben dem Pferdekörper tief ins Wasser.
Das Pferd wieherte erschrocken, bäumte sich mit fast übernatürlicher Kraft auf und riss Emma ruckartig die Zügel aus der Hand. Seine Hufe wirbelten durch die Luft, trafen weiter oben auf als bei allen Versuchen zuvor, fanden Halt auf einer Wurzel.
Scheerer brüllte: »Hoch mit dir!« und gab Orlando einen Stoß von hinten.
Noch ehe Emma einen klaren Gedanken fassen konnte, stand das Pferd stocksteif und zitternd neben ihr an Land.
Benommen rappelte sie sich auf und sah, wie Scheerer sich aus dem Wasser hievte.
Er kam schwankend auf sie zu, griff nach Orlandos Zügeln und keuchte: »Ich habe mich wohl in dir geirrt, Emma. Du bist keine Dame, oh nein!«
Wie bitte?!
Fassungslos starrte sie ihn an. Zugegeben, sie hatte im Matsch gelegen, aber sie hatte Scheerer doch nur helfen wollen! Stand Orlando etwa nicht lebendig neben ihr, statt im creek zu ertrinken? War das nicht tausendmal wichtiger, als sich damenhaft zu benehmen?
Scheerer wandte sich ab. Er strich dem zitternden Rappen über den Hals, führte ihn zu Princess und band ihn neben ihr an den Baum. Dann kam er zurück zu Emma und blieb schweigend und tropfend vor ihr stehen.
Zu ihrer Empörung gesellte sich Enttäuschung. Scheerer schien es nicht zu ertragen, dass er die Hilfe einer Frau benötigt hatte.
»Nein, du bist keine Dame«, wiederholte er. »Kein verzärteltes, hilfloses Wesen. Sondern eine überaus mutige junge Frau. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre mein Pferd jetzt tot.« Er lächelte schief. »Mir scheint, dass nicht du einen Beschützer brauchst, Emma, sondern ich.«
Sie schluckte. Das kam nun doch etwas unerwartet. Meinte er seine Worte ernst? Und warum duzte er sie überhaupt auf einmal?
»Danke«, sagte er warm und griff nach ihrer Hand.
»Ich helfe doch gerne«, murmelte sie verlegen.
Scheerer ließ ihre Hand los und lachte leise. »Wenn du so gerne hilfst, ist es ja gut, dass ich dich nicht nach Brisbane zurückgeschickt habe. Was würden Orlando und ich nur ohne dich anfangen?«
Emma wurde unter den Dreckspritzern auf ihrer Haut rot. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob er sich nicht doch über sie lustig machte.
»Orlando hat es aus eigener Kraft geschafft«, sagte sie abwehrend.
»Nicht ganz. Deine Idee, ihn zu kitzeln, war genial«, grinste Scheerer. »Wie bist du nur darauf gekommen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Mein Reitlehrer in Stuttgart hat mir einmal erzählt, dass manche Pferde an der Stelle unter dem Sattelgurt schrecklich empfindlich seien. Ich hatte den Wunsch geäußert, mein Pferd selbst satteln zu wollen, und mit dieser Information
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