Der Duft von Orangen (German Edition)
Fernbedienung stellte Jen den Ton ab. Bislang waren auf dem Fernseher erst der in Blut tropfender Schrift geschriebene Titel zu sehen gewesen sowie ein Zug, der im Dunkeln über sich zwischen zerklüfteten Bergen hindurch windende Schienen fuhr. „Ich würde sofortigen Sprechdurchfall bekommen.“
„Sprech… igitt.“
Sie lachte und legte die Fernbedienung beiseite, um sich eine Handvoll Popcorn zu nehmen. „Ehrlich. Ich habe mal Shane Easton getroffen. Weißt du, der Sänger von den Lipstick Guerrillas ?“
„Äh, nö?“
„Sie haben in dem Jahr im IndiePalooza in Hershey ein Konzert gegeben, und mein Freund hatte Backstagepässe ergattert. Zehn oder fünfzehn Bands traten damals auf. Es war heiß wie in der Hölle. Wir haben Bier getrunken, weil der Becher nur eins fünfzig gekostet hat und Wasser vier Dollar die Flasche. Sagen wir einfach, ich war ein wenig betrunken.“
„Und? Was hast du zu ihm gesagt?“
„Es könnte sein, dass ich ihm gesagt habe, ich würde ihn gerne reiten wie einen Zuchthengst. Oder so was in der Art.“
„Oh, wow.“
„Ja, ich weiß.“ Sie seufzte dramatisch und öffnete eine Dose Cola light. „Nicht mein hellster Moment.“
„Ich bin sicher, es hätte noch schlimmer kommen können.“
„Ja, und ich weiß auch, wie. Nämlich anstatt ihn nie wieder zu sehen, ihm alle naslang im Coffeeshop und im Supermarkt über den Weg zu laufen“, sagte Jen und schaltete den Ton des Fernsehers wieder ein. „Deshalb hüte ich mich davor, in Johnny Dellasandros Nähe auch nur ansatzweise den Mund zu öffnen.“
Der Zug – ich nahm an, es war derjenige der Verdammten – stieß einen schrillen Pfiff aus, dann folgte ein Schnitt ins Innere, wo eine Gruppe Menschen zusammensaß, die nach der Mode der Siebziger gekleidet waren. Eine Frau mit einem beigefarbenen Catsuit, toupierten Haaren und einer Sonnenbrille, die ihr halbes Gesicht verdeckte, winkte mit einer Hand, deren Finger sie vor lauter Ringen kaum bewegen konnte. Der Kellner folgte ihrer Aufforderung und schenkte ihr ein Glas Wein ein. Der Zug wackelte, er verschüttete den Wein. Der Kellner war Johnny.
„Sieh doch hin, was du tust, du Dummkopf!“ Die Frau sprach mit einem schweren Akzent. Vielleicht italienisch? Ich war mir nicht sicher. „Du hast meine Lieblingsbluse bekleckert.“
„Tut mir leid, Ma’am.“ Seine Stimme war tief und volltönend und … durch ihren New Yorker Akzent in diesem Film vollkommen fehl am Platz.
Ich kicherte. Jen warf mir einen bösen Blick zu. „Es wird besser, wenn er sie mit in den Schlafwagen nimmt und ordentlich durchvögelt.“
Nun kicherten wir beide, aßen Popcorn, tranken Cola und machten uns über den Film lustig. Soweit ich das beurteilen konnte, wurde der Zug verflucht, als er in einen Tunnel fuhr, der irgendwie ein Eingang zur Hölle war. Es gab keine Erklärung, warum das passierte – zumindest keine, die sich mir erschloss. Aber da der Film ab und zu unerklärlicherweise ins Italienischemit ganz schlecht übersetzten Untertiteln wechselte, wobei Johnny seltsamerweise eine sehr hohe Synchronstimme hatte – war es gut möglich, dass ich den entscheidenden Punkt verpasst hatte.
Es war aber auch egal. Der Film war unterhaltsam, mit viel Blut und Innereien, wie Jen versprochen hatte. Aber auch mit vielen ansehnlichen Szenen. Johnny entledigte sich zum Schluss seiner Kellneruniform, um gegen mit Latex bekleidete Dämonen zu kämpfen. Ohne Hemd und in Blut gebadet, das Haar glatt aus der Stirn gestrichen, war er einfach atemberaubend.
„‚Fahrt zur Hölle‘, sagte ich!“
Es war eine klassische Zeile, die Johnny mit seinem starken Akzent sprach und mit einem Schuss aus seinem Gewehr begleitete, der die Dämonen in winzige, tropfende Einzelteile zerlegte. Danach folgte eine ausführliche Liebesszene zwischen ihm und der Frau in dem Catsuit, zu der schwülstige Pornomusik spielte. Der Film endete damit, dass die Frau mit einem Dämonenbaby schwanger war, das ihre Innereien zerriss und versuchte, seinen Vater anzugreifen.
„Also … Johnny war … der Teufel?“
Jen lachte und kratzte mit den Fingernägeln über den Boden der leeren Popcornschüssel. „Ich glaube schon. Oder der Sohn des Teufels oder so.“
Der Abspann lief. Ich trank meine Cola aus. „Wow. Das war mal was.“
„Ja. Ganz schön schlecht, oder? Aber die Sexszene war heiß.“
Das stimmte. Trotz der Pornomusik, der dummen Spezialeffekte und dem geschickt platzierten Kissen, das jeglichen Blick auf
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