Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Gesichtshälfte bedeckt hatte. Dann wickelte er ihn vom Kopf und ließ die Stoffbahn lose um den Hals hängen. Sein Schädel war nicht rasiert, so wie ich es bei den anderen Arabern in den Souks gesehen hatte, sondern er hatte dickes, gewelltes schwarzes Haar. Nun, da er neben dem Fenster stand, durch das das linierte Licht hereinfiel, konnte ich auch seine Augen sehen, die erstaunlicherweise blau waren.
Badou klammerte sich an die Falten seiner dschellaba; Aszulay bückte sich und hob ihn in einer fließenden Bewegung auf den Arm. Badou schlang die Arme um seinen Hals.
» Falida«, sagte Aszulay, » bring das Essen in die Küche und decke den Tisch.«
Das Mädchen nahm den schweren Korb und trug ihn quer durchs Zimmer und in den angrenzenden Raum.
» Leisten Sie uns beim Essen Gesellschaft, Mademoiselle?«, fragte Aszulay.
» Nein«, sagte Manon. » Sie geht jetzt. Sie können später wiederkommen, wie abgemacht.« Sie stand auf.
Ich erhob mich ebenfalls, sodass wir uns gegenüberstanden. » Aber, Madame …«
» Wir werden uns später unterhalten. Um zwei Uhr.«
» Bitte, sagen Sie mir nur …«
» Non!« Manons Stimme war laut und energisch. » Wenn ich zwei Uhr sage, meine ich auch zwei Uhr.« Sie kam um den Tisch herum und zerrte an meinem Ärmel. » Gehen Sie, Mademoiselle. Ich befehle Ihnen, mein Haus zu verlassen. Verstehen Sie denn nicht?«
»Manon«, sagte Aszulay mit fester Stimme. Ich sah ihn an und hoffte irgendwie, er würde sich einschalten. Doch ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, und er sagte auch nichts mehr.
Mir blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge zu gehen. Beim Verlassen des Hauses hörte ich, wie die beiden miteinander redeten, er mit leiser und fragender Stimme und Manon, die laut und streitlustig antwortete. Sie sprachen Arabisch.
Ohne mich weit von Manons Haus zu entfernen, spazierte ich durch die Gassen, bis eine Stunde herum war. Um genau zwei Uhr begab ich mich wieder in die Sharia Zitoun und klopfte an das Tor. Niemand machte auf. Ich rief nach Manon, dann nach Badou. Und schließlich nach Falida.
Doch hinter dem safrangelben Tor herrschte vollkommene Stille.
Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Eine weitere Stunde lang wartete ich in der Nähe des Tors an eine Mauer gelehnt, wo ich immer wieder das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Doch von drinnen kam kein Laut. Ich nahm mir vor zu warten, bis sie zurückkamen, wenn es sein musste, bis spät in die Nacht hinein und es dunkel wurde in der Medina. Ich würde ausharren und warten.
Doch als das Licht in der schmalen Gasse zusehends schwand, die Schatten länger wurden und der Geruch von gekochtem Fleisch durch die Straße waberte, wurde mir klar, dass ich nicht länger bleiben konnte.
Vom vielen Stehen schmerzte mein Bein, und ich kehrte humpelnd zum Hotel zurück. Dort verbrachte ich eine weitere ruhelose Nacht, nachdem ich in meiner Suche nach Etienne keinen Zentimeter weitergekommen war.
ZWEIUNDZWANZIG
A ls ich am nächsten Morgen aufstand, war mein erster Impuls, sofort wieder in das Haus in der Sharia Zitoun zurückzukehren. Doch nach dem gestrigen Erlebnis war ich so entmutigt und fürchtete, wieder vor dem verschlossenen Tor zu stehen, hinter dem sich kein Laut rührte. Was, wenn Manon irgendwohin gegangen war, wo ich sie nicht finden konnte, um nicht mit mir über Etienne sprechen zu müssen? Was, wenn ich meine Chance verpasst hatte, etwas aus ihr herauszubekommen?
Was verbarg sie vor mir?
Um mich für ein paar Stunden abzulenken, ging ich in den Straßen der Ville Nouvelle spazieren. Ich betrat ein Geschäft für Malutensilien und hoffte, der Geruch nach Farben und das Gefühl, wieder einen Pinsel in der Hand zu halten, würden mich auf andere Gedanken bringen. Die Gemälde an den Wänden der Hotellobby fielen mir wieder ein, und ich rief mir die Skizze in Erinnerung, die ich von Mustapha und Aziz gezeichnet hatte. Doch um die Mittagszeit fand ich mich abermals in der Sharia Zitoun wieder.
Ich wappnete mich innerlich, wieder niemanden anzutreffen, doch als ich mich dem Tor näherte, hörte ich Badous Stimme von der anderen Seite. Ich nahm einen tiefen Atemzug, betätigte dann den Türklopfer und rief nach dem Jungen.
Er öffnete sofort. » Hallo, Mademoiselle O’Shea«, sagte er lächelnd, als wäre er erfreut, mich zu sehen.
Ich versuchte ebenfalls ein Lächeln, hatte jedoch das Gefühl, als würden meine Lippen mir nicht gehorchen.
Auch Aszulay war
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