Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
genommen hatte. »Badou, zieh dir einen Hocker heran und setze dich neben Mademoiselle O’Shea«, fügte er hinzu, als wäre er der Hausherr. Mir fiel auf, wie ungezwungen er mit Manon umging. Er steckte ein Kissen hinter ihren Rücken, damit sie bequemer saß, und drückte sie sanft nach hinten, dann fuhr er durch Badous Haare und strich ihm zärtlich über die Wange.
Aszulay war ganz anders als alle anderen Männer, die ich bislang in Marrakesch gesehen hatte. Inzwischen war mir klar geworden, dass die Männer und Frauen, die die Souks bevölkerten, der Unterschicht angehörten. Die Männer verkauften ihre Waren; sie schoben oder zogen ihre Karren durch die Straßen oder trugen schwere Säcke auf dem Rücken. Sie fuhren Taxi oder lenkten eine calèche, tranken an den kleinen Tischen in den Gassen Tee zusammen. Mit den Adligen und Sultanen Marokkos hatten sie nichts gemein. Und die verschleierten Frauen, die in männlicher Begleitung durch die Straßen huschten, um ihren täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu kaufen, waren entweder die Frauen dieser Männer oder aber Bedienstete der Damen in den Harems, jener Frauen, die der Oberschicht der marokkanischen Gesellschaft angehörten und selten die Abgeschiedenheit ihrer Häuser und Innenhöfe verließen.
Ich wusste nicht, welchen Platz Aszulay und Manon in diesem Kosmos hatten. Aszulays lebhafter und offener Blick war der eines Mannes in der Blüte seines Lebens, dessen Attraktivität nicht nur von seinen äußeren Zügen herrührte, sondern auch von innen kam. Vom ersten Augenblick an war er mir anders begegnet, als ich es von seinen Landsleuten gewohnt war: Seine Haltung zeugte nicht von der neugierigen und verächtlichen Art, die andere marokkanische Männer mir entgegenbrachten, die mich entweder anzüglich musterten oder verachteten. Er behandelte mich, wie auch Manon, wie ein Europäer. Auch sprach er ein gepflegtes Französisch, und seine Grammatik war nahezu fehlerlos.
Manon beobachtete Aszulay mit einem Blick, der für mich eindeutig etwas Sinnliches hatte. Auch wenn er nicht darauf einging, wusste ich, dass er ihr Liebhaber war. Es konnte nicht anders sein.
Also hatte sie keinen Ehemann mehr. Ihr Lied fiel mir wieder ein, das sie beim Schminken gesungen hatte und das davon handelte, wie die Männer sich vor Verlangen nach ihr verzehrten.
Ein Anflug von Enttäuschung überkam mich. Enttäuschung darüber, dass ein Mann wie Aszulay sich von einer Frau wie Manon bezirzen ließ. Auf der anderen Seite, so sinnierte ich weiter, erinnerte er mich auch ein wenig an Manon – beide waren sie gefangen zwischen zwei Welten. Obwohl sie ganz und gar marokkanisch anmutete, war sie von Geburt an eine Französin. Er wiederum war ein Blauer Mann, ein Angehöriger eines Nomadenstamms aus der Sahara, der als Gärtner arbeitete, aber wie ein gebildeter Franzose sprach und sich gebärdete.
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf, verärgert über mich selbst, weil ich mich diesen müßigen Gedanken hingab. Auch irritierte mich, dass ich gezwungen war, untätig hier zu sitzen und den höflichen Gast zu spielen. Darauf zu warten, dass Manon sich herabließ, mir etwas über Etiennes Aufenthaltsort zu erzählen.
Doch mir blieb nichts anderes übrig, als mich in Geduld zu üben. Abgesehen von den ärgerlichen Blicken, die sie mir gelegentlich zuwarf, schenkte sie mir keinerlei Beachtung.
Aszulay bot Manon das noch volle Glas Tee an. Doch sie lehnte es mit einem Kopfschütteln ab und seufzte leise.
» Hast du immer noch Kopfschmerzen?«, fragte er, und sie ließ ein schnalzendes Geräusch vernehmen.
Aszulay nahm ihr Glas und hob es an ihre Lippen, und sie nippte mit geschlossenen Augen daran.
Ich war mir sicher, dass ihr Unwohlsein nur gespielt war, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Nachdem er das Glas wieder abgestellt hatte, nahm Aszulay den Deckel von der tajine und bedeutete mir mit einer einladenden Geste, mich zu bedienen. Die tönerne Pfanne enthielt einen Berg Couscous, der mit in lange Streifen geschnittenen Karotten und einem grünen Gemüse dekoriert war – Zucchini, wie ich vermutete. Aus dem Couscous ragten Hühnchenteile heraus. Ich würde kaum einen Bissen herunterbekommen, das wusste ich, doch die Höflichkeit gebot es, wenigstens davon zu kosten. Je früher ich aß, desto früher war die Mahlzeit vorbei, sagte ich mir. Dann würde Aszulay wieder an seine Arbeit zurückkehren, und ich würde endlich die Wahrheit aus Manon herausbekommen.
Diesmal
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