Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
verbergen. Ich ließ den Blick durch das Zimmer wandern wie tags zuvor durch den Innenhof, in der Hoffnung, einen Hinweis auf Etiennes Anwesenheit zu finden. Doch nichts deutete auf die Gegenwart eines Mannes hin: keine Pantoffeln neben der Tür, keine dschellaba, die auf einem Sofa lag. Wo war eigentlich Manons Mann?, fragte ich mich. Wie er wohl aussah? » Ich konnte einfach nicht mehr länger warten, und nun bin ich hier. Bitte sagen Sie mir, wo ich ihn finde, oder … oder erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.«
Sie legte den Schlauch mit dem kunstvoll gedrechselten Mundstück neben die Wasserpfeife, und ich trat zu ihr.
Ihr Gesicht wirkte blasser, als ich es in Erinnerung hatte, aschfahl beinahe. Sie trug einen Kaftan aus grüner und orangefarbener Seide und darüber ein dfina, ein marokkanisches Überkleid. Es war blassgrün und hatte seitliche Schlitze, die den Blick auf den Kaftan darunter freigaben. Nun, da ihre Gestalt nicht mehr von einem haik verhüllt wurde, konnte ich ihre gertenschlanke Figur unter den dünnen Kleidungsstücken ausmachen. Nie zuvor hatte ich eine Marokkanerin mit einem Kaftan bekleidet gesehen. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie schön dieses Kleidungsstück an einer Frau wirken konnte.
Da sie keine Anstalten machte aufzustehen, setzte ich mich auf das Sofa ihr gegenüber. Falida erschien geräuschlos neben mir – ich hatte sie gar nicht reinkommen hören – und legte mehrere runde Kissen zwischen meinen Rücken und die Wand. Doch ich war nicht hier, um mich zu entspannen, sondern beugte mich vor und sah Manon erwartungsvoll an. Die Gemälde hinter ihr an der Wand ließen das Zimmer gleichsam pulsieren, es heller und wärmer erscheinen.
» Ich muss Sie bitten, wieder zu gehen, Mademoiselle O’Shea«, sagte Manon. » Badou, hol meinen Beutel.«
Ich rührte mich nicht vom Fleck, während das Kind zu einer Kommode an der Wand lief und mit einem verzierten Stoffbeutel zurückkam. Er reichte ihn seiner Mutter und setzte sich im Schneidersitz zu ihren Füßen auf den Boden.
Manon starrte mich an, doch ich rührte mich noch immer nicht. Sie hob gleichgültig eine Schulter. Dann zog sie einen Kamm, einen Spiegel und ein paar Fläschchen aus der Tasche. Ruhig kämmte sie sich das lange, glänzende Haar und ließ es offen auf die Schulter fallen. Dann legte sie Rouge auf Wangen und Lippen auf. Als wäre ich nicht anwesend, fuhr sie in aller Ruhe in ihrem Schönheitsritual fort. Sie holte ein kleines Holzstück hervor und rieb es sich über das Zahnfleisch, sodass sich das blasse Rosa in ein rötliches Braun verwandelte und ihre weißen Zähne zur Geltung kamen. Wieder tauchte sie die Hand in den Beutel und brachte ein hölzernes merroud zum Vorschein, das Kohl für die Augen enthielt. Diese kleinen Gefäße hatte ich in einigen Geschäften des Französischen Viertels gesehen.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich vor lauter Anspannung die Innenseite meiner Wange wund gebissen hatte. Am liebsten hätte ich Manon angeschrien, sie geschüttelt, sie dazu gezwungen, mir etwas über Etienne zu erzählen. Aber ich wusste, dass ich so nicht weiterkäme. Im Gegenteil, wahrscheinlich würde sie mir dann erst recht nichts verraten.
Ohnehin würde sie mir nur sagen, was sie wollte, falls sie wollte.
» Ich benutze besonderen Kohl«, sagte sie, das merroud in der einen Hand und den Spiegel in der anderen. Mit einem Holzstäbchen umrandete sie die Augen mit dem Kohl. » Ich stelle ihn übrigens nur bei Neumond her. Aus der Kohle von verbrannten Oleanderwurzeln, etwas geriebenem Muskat und Aloe. Und – am allerwichtigsten – Kamelgalle. Aber ohne die Kraft des Mondes ist es wirkungslos.«
Ich tat ihr nicht den Gefallen, sie zu fragen, was sie denn bewirken wollte.
Während Manon noch immer in den Spiegel blickte und sich schminkte, sang sie leise und mit schwerer Stimme: » Ich schminke meine Augen zu zwei Monden am dunklen Himmel. Ich werde die Männer vor Verlangen verrückt machen. Alle werden mich begehren.« Sie nahm den Blick von ihrem Spiegelbild und sah mir direkt in die Augen.
Obwohl es warm im Zimmer war, überlief mich im Nacken eine Gänsehaut, als wäre ich einem plötzlichen Luftzug ausgesetzt, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu schaudern. Ich rief mir Etiennes Erzählungen von den Frauen Marrakeschs und ihren magischen Ritualen ins Gedächtnis und wie er ihre Praktiken als dummen Aberglauben abgetan hatte. Manon starrte mich noch immer an, und mir wurde immer
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