Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Schwester aufgewachsen, die malte, ohne je ein Wort davon zu sagen, während er meine Bilder betrachtete und behauptete, er verstehe so wenig von Kunst.
» Wo haben Sie Malen gelernt? In Frankreich? Haben Sie Unterricht genommen?«
» In Frankreich, Sidonie?« Manon gab ein Krächzen von sich, das vielleicht ein missglücktes Lachen war. » In Frankreich?«, wiederholte sie, als amüsierte sie der Gedanke. » Sie denken also, ich hätte in Frankreich studiert?«
» Aber Etienne hat ja auch in Frankreich studiert. Also warum sollte ich nicht annehmen, dass auch Sie, na ja …« Als ich Manons Gesichtsausdruck sah, ließ ich den Satz unbeendet. Sie wirkte nun nicht mehr amüsiert, sondern wütend.
» Selbstverständlich habe ich nicht in Frankreich studiert.« Ihr Ton gab mir zu verstehen, dass sie mich für eine Idiotin hielt. Doch plötzlich lächelte sie wieder. » Und nun erzählen Sie mir von Ihren Bildern.«
» Bitte, können wir nicht …«
» Ich bestehe darauf. Wir plaudern ein wenig. Sie erzählen mir, was ich wissen will, und dann erzähle ich Ihnen, was Sie wissen wollen.«
Ich kaute wieder auf der Innenseite meiner Wange, die schon wund war. » Ich male andere Bilder als Sie. Ich male Aquarelle, Pflanzen und Vögel.«
Manon starrte mich einen Moment lang mit einem Ausdruck an, den ich nicht zu deuten vermochte. » Also hat es Etienne gefallen, dass diese kleine amerikanische Maus hübsche Bilder malt?« Ein spöttischer Ton lag in ihrer Stimme, besonders als sie das Wort souris – Maus – aussprach.
Am liebsten hätte ich sie angeschrien: Ich bin keine Maus, wie können Sie es wagen? Stattdessen sagte ich so ruhig ich es unter diesen Umständen vermochte: » Ja. Etienne haben meine Bilder durchaus gefallen.« Ich durfte sie nicht weiter verärgern. Inzwischen wusste ich, wie schnell sie sich verschließen konnte, um mich dann wegzuschicken.
» Hat er Ihnen das gesagt? Dass ihm Ihre Bilder gefallen? Sie glauben, dass er auf solch harmlose Motive steht? Was, glauben Sie, hält er wohl von meinen Werken?«
Ich schüttelte den Kopf. » Das weiß ich nicht. Und ich weiß auch nicht, warum Sie so wütend auf mich sind. Ich habe Ihren Bruder glücklich gemacht, Madame Maliki. Wollen Sie nicht, dass er glücklich ist?«
Während sie noch immer meine Hand hielt und mir mit erschreckender Eindringlichkeit ins Gesicht starrte, öffnete Manon die Lippen und näherte ihr Gesicht so nah dem meinen, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde dachte, sie wolle mich küssen. Unwillkürlich drehte ich den Kopf zur Seite, um ihrem Mund auszuweichen, und spürte, wie ihre Lippen mein Ohr berührten. » Etienne gibt es nicht mehr«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand.
Ich wich ihrem Atem aus, der unangenehm auf meiner Wange brannte. » Wie bitte? Was haben Sie gerade gesagt? Was meinen Sie damit?«
Manon lehnte sich zurück, und der Griff um meine Hand lockerte sich ein wenig, obwohl sie sie noch immer nicht freigab. In normaler Lautstärke erklärte sie: » Ich sagte, Etienne gibt es nicht mehr, Sidonie. Er lebt nicht mehr. Er ist auf dem Friedhof hinter der Kirche der heiligen Märtyrer begraben.« Obwohl uns nun mindestens ein Meter trennte, nahm ich einen säuerlichen Geruch in ihrem Atem wahr, der tief aus ihrem Inneren zu kommen schien. Es verursachte mir Übelkeit. Ich schluckte.
» Das meinen Sie nicht ernst, Manon.« Ich hatte ohne nachzudenken ihren Vornamen benutzt. Ich schüttelte mehrmals den Kopf, als könnte ich so ihre Worte auslöschen. Dann entriss ich ihr meine Hand. » Das ist nicht wahr. Es ist nicht wahr«, sagte ich nochmals und schüttelte Manon. » Sagen Sie mir, dass Etienne nicht tot ist!«
Sie nickte und lächelte nun nicht mehr, sondern starrte mich an, sodass ihre mit Kohl umrandeten Augen riesig wirkten. Ich war wie gebannt, konnte den Blick nicht von ihnen abwenden. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und rang verzweifelt nach Atem, während Manons Gestalt immer dünner wurde und verschwamm. Ich starrte sie an, drohte zu ersticken, während sie einfach dasaß und mich mit ihren Augen festhielt.
DREIUNDZWANZIG
I ch kann mich nicht erinnern, wie ich zu meinem Hotel zurückfand. Meine Sinne waren dermaßen verwirrt, dass das Leben in den Gassen, den Souks und auf dem Platz zu einem trüben Farb- und Geräuschteppich verschwamm. Während ich durch die verwinkelten Gassen der Medina hetzte, hielt ich mir ein Taschentuch vor Mund und Nase. Wie lange hatte
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