Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
mögliche Anomalie gesehen, einen Fehler der Natur.
» Du warst nur eine Ablenkung für ihn, ein Zeitvertreib für ein paar Wochen«, fuhr Manon fort. » Er hatte keine ernsthaften Absichten. Das hat er mir selbst gesagt.«
Einen Moment lang musste ich um meine Haltung ringen. Ich sah kurz zu Badou, der noch immer Falida half, die verstreuten Lebensmittel aufzulesen. Er erwiderte meinen Blick und kam dann zu mir, um mir die Orange abzunehmen.
» Etienne wollte mit mir zusammen sein«, sagte ich. » Mit den Folgen hatten wir beide nicht gerechnet. Ich war tatsächlich schwanger, Manon. Aber ich habe das Kind auf der Reise verloren – bevor ich in Tanger ankam.« Es war mir gleich, ob sie mir glaubte oder nicht. » Wenn er wirklich so fest entschlossen war, sich nicht fortzupflanzen, dann hätte er keine Beziehung mit mir angefangen. Schließlich hat er es aus freien Stücken getan.« Ich bemerkte, wie meine Stimme bei den letzten Worten ins Stocken geriet, und hasste mich dafür.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. » Er ist auch nur ein Mann, Sidonie. Er sehnte sich nach einer Frau und hat seinem Trieb gehorcht. Er hatte geplant, sich der einzigen Prozedur zu unterziehen, die in seinen Augen dem Problem ein für alle Mal ein Ende bereitet hätte, nämlich einer Sterilisation. Er wollte es machen lassen, sobald sein Vertrag an dem Krankenhaus in Amerika ausgelaufen gewesen wäre. Aber bis dahin waren es noch ein paar Monate, und so lange wollte er sich nicht in Geduld üben. Und mit dir dachte er kein Risiko einzugehen, naiv und unerfahren, wie du warst. Dass du ihm keine Schwierigkeiten machen würdest.«
Nein, Etienne gehörte nicht zu der Sorte Männer, von der sie sprach. Er liebte mich, wollte bei mir bleiben. » Ich glaube dir nicht. Hör auf, mir solche Dinge zu sagen.«
Manon musterte mich mit ausdruckslosem Gesicht. » Ich kann sagen, was ich will, Sidonie.«
Die Kinder trugen die Taschen ins Haus hinein, und ich blickte ihnen nach. Eine Weile standen wir noch da und sahen einander an, dann ging auch ich. Zwischen uns schien alles gesagt zu sein.
Zurück im Hotel stellte ich mich ans Fenster und schaute zum Hohen Atlas, der sich vor dem blauen Himmel abhob. Von den Minaretten der Medina hörte ich den Ruf zum Mittagsgebet und roch den Duft der Jacarandabäume und des Flieders, der aus dem Garten aufstieg.
Ich versuchte, mich an Etiennes Geruch zu erinnern und an sein seltenes, träges Lächeln. Ich versuchte, mir einige unserer Gespräche in Erinnerung zu rufen, Situationen, in denen wir beisammen gewesen waren – gemeinsam gegessen hatten, zusammen eingeschlafen und wieder aufgewacht waren. Aber das einzige Bild, das vor meinem geistigen Auge auftauchte, war Etiennes Ausdruck, als ich ihm von meiner Schwangerschaft erzählte, und wie er sich mit einem Mal in einen Fremden verwandelt hatte.
Ich wusste, dass ich Manons Aussagen nicht vertrauen durfte. Etienne hatte mich vor sich beschützen wollen. Doch ich musste ihm unbedingt sagen, dass ich stark genug war, dass ich mit seiner Krankheit würde leben können. Ich würde ihn heiraten und ihm zur Seite stehen. Ich wollte ihm seine Ängste nehmen.
Es war zwecklos, abermals in die Sharia Zitoun zu gehen. Mit Manon war ich fertig. Sie würde ohnehin nur fortfahren, mich zu belügen und zu verunsichern. Niemals würde sie mir verraten, wann Etienne nach Marrakesch zurückkehrte. Es gab nur einen Menschen hier, der mir weiterhelfen konnte.
In einer calèche ließ ich mich zum Majorelle-Garten fahren. Ich hoffte, Aszulay dort anzutreffen. Als ich drei weiß gekleidete Männer sah, die an einem Blumenbeet in der Nähe des Eingangs arbeiteten, trat ich zu ihnen.
» Pardonnez-moi!«, rief ich. Die Gärtner richteten sich auf und sahen mich an. Der mittlere war Aszulay.
» Aszulay«, sagte ich erleichtert, als hätte ich ihn seit langem gesucht. » Aszulay«, wiederholte ich. » Könnte ich bitte mit Ihnen reden? Es ist wegen Etienne. Ich muss … ich …« Ich brach ab. Was musste ich?
Die anderen beiden Gärtner beobachteten, wie Aszulay über den Rand des Beetes stieg und zu mir ging. » Mademoiselle O’Shea, in ein paar Minuten werde ich hier fertig sein. Am besten warten Sie dort drüben auf einer Bank im Schatten auf mich.«
Nach einer Weile stieß er seine Schaufel in die rote Erde und kam zu mir herüber.
Ich stand auf. » Ich muss Sie fragen …«
Er unterbrach mich, indem er eine Hand hob. » Bitte, nicht hier.«
Mir wurde bewusst,
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