Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Vater musste für sein Verhalten mir gegenüber bezahlen.« Ihr Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse, und ihre Stimme klang bitter, als sie weitersprach. » Dieses Haus«, sie wedelte flüchtig mit der Hand, » hat Etienne für mich gekauft, bevor er nach Amerika ging. Aber das reicht nicht. Keine Summe der Welt würde genügen, um das wettzumachen, was mir angetan wurde. Ich war froh, als mein Vater starb, und ich bin froh zu wissen, dass Etienne auf gleiche Weise leiden wird. Ich gönne ihm sein Erbe, denn nun wird er damit leben müssen, bis es ihn umgebracht hat, schreiend und sich beschmutzend wie ein Baby.«
Von welcher Krankheit sprach sie? Und was meinte sie damit, als sie von den Dschinn sprach, von denen sein Körper besessen war?
» Die Dschinn wandern vom Vater zum Sohn.«
Es handelte sich also um eine Erbkrankheit. Etiennes starkes Interesse an Genetik kam mir wieder in den Sinn.
Das Tor wurde aufgestoßen, und Badou kam mit dem Hund in den Innenhof zurück. Wieder setzte er sich neben seine Mutter und schlang die Arme um den Bauch des Hundes. Dann streckte Badou vorsichtig die Hand nach den kleinen runden Broten aus, die noch auf dem Teller lagen, während er Manon einen verstohlenen Blick zuwarf. Als sie nicht reagierte, nahm er eines, brach ein Stück ab und fütterte es dem Hund, ehe er selbst einen Bissen in den Mund stopfte.
» Aber wenn Etienne in Marokko ist«, sagte ich, » wird er doch bestimmt wieder nach Marrakesch zurückkehren. Um dich und Badou zu besuchen«, fügte ich hinzu, während mein Blick zwischen Manon und dem Jungen hin- und herhuschte. Diese zwei Menschen waren seine einzige Familie. » Wann wird er wiederkommen, Manon? Wenn das stimmt, was du mir erzählt hast, muss ich umso dringender mit ihm sprechen.«
Wieder zuckte sie die Schultern und nahm einen tiefen Zug aus der shisha. Dann öffnete sie träge ein wenig die Lippen und blies eine Rauchwolke nach oben, in die warme, unbewegliche Luft.
FÜNFUNDZWANZIG
D ie nächsten paar Stunden verbrachte ich damit, in den Straßen der Medina herumzuwandern. Wenn mir Manon diesmal die Wahrheit gesagt hatte – dass Etienne unter einer Krankheit litt, die ihn nach und nach unter schrecklichen Qualen sterben ließ –, hatte ich möglicherweise die Antwort gefunden, nach der ich suchte.
Etienne hatte mich verlassen, um es mir zu ersparen, einen Mann zu heiraten, der eine Schlinge um den Hals trug, die sich mit jedem Monat und jedem Jahr enger zog.
Er hatte mich verlassen, weil er mich zu sehr liebte und um mir Leid zu ersparen. Aber dann hatte er nicht begriffen, wie tief ich für ihn empfand. Ich konnte ihn mir nicht anders vorstellen als so, wie ich ihn zuletzt gesehen hatte, stark und liebevoll. Egal, welchen Verlauf seine Krankheit nahm – Manon hatte von den Dschinn gesprochen –, so würde ich damit fertig werden. Wenn Etienne mit der Zeit immer schwächer wurde, würde ich für ihn sorgen, so wie ich für meine Mutter gesorgt hatte.
Am späteren Nachmittag ging ich in die Sharia Zitoun zurück und pochte an das safrangelbe Tor. » Manon!«, rief ich. » Badou, seid ihr da?«
Ich hörte ein leises Geräusch, nackte Füße, die über die Bodenfliesen trippelten. » Badou?«, sagte ich wieder, den Mund an dem winzigen Lichtspalt, wo das Tor an den Türpfosten stieß. » Ich bin’s, Sidonie. Würdest du bitte aufmachen?«
Ich hörte, wie er umständlich mit dem Schloss hantierte, bis das Tor schließlich nach innen aufschwang. Badou sah zu mir hoch. »Maman hat gesagt, ich darf niemand reinlassen«, sagte er.
» Aber ich bin’s nur, Badou. Kann ich ganz kurz hereinkommen?«
Er sah mir ins Gesicht, nickte dann ernst und trat einen Schritt zurück. Im Innenhof stand eine Badewanne, und auf dem Wasser schwammen Stöcke.
Badou ging zur Wanne zurück und ließ einen Stock auf dem Wasser kreisen, als wäre es ein Boot.
» Schläft deine Mutter?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. » Sie ist ins Hamam gegangen«, sagte er, ohne mich anzuschauen.
» Und Falida, wo ist sie?«
» In den Souks, um Lebensmittel zu kaufen.«
Ich blickte zum Haus. » Also bist du ganz allein?«
» Ja. Ich bin ein großer Junge.« Er nahm geschäftig die Stöcke aus dem Wasser, kniete sich hin und arrangierte sie in einem bestimmten Muster auf dem Boden. » Maman sagt, ich bin ein großer Junge und kann mich selbst um mich kümmern.«
Einen Moment schwieg ich, dann sagte ich: » Ja, natürlich bist du ein großer Junge,
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