Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
annehmen.
Ich hielt den Ring auf Armeslänge von mir weg und bewunderte, wie das Sonnenlicht die verschiedenen Farbfacetten des Steins zur Geltung brachte. Dabei überlegte ich, ob es mir gelänge, diese Schattierungen auf dem Papier zu kreieren. Als ich den Ring dem Händler zurückgab, hörte ich eine vertraute Stimme und drehte mich um. Es war Falida, sie trug ein großes fadenscheiniges Baumwolltuch auf dem Kopf und hatte die Riemen einer gewebten Tasche über die Schulter geschlungen. Neben ihr ging Badou, den sie an der Hand hielt.
Mein Herz machte einen Satz. » Badou!«, rief ich, und er blickte sich suchend um. Offensichtlich erkannte er mich nicht. Ich ließ den haik vor dem Gesicht auseinanderfallen und rief erneut seinen Namen, und diesmal starrte er einen Moment lang in meine Richtung, ehe er Falidas Hand losließ, zu mir rannte und die Arme um meine Beine schlang, wie er es sonst immer nur bei Aszulay gemacht hatte. Ich ging neben ihm in die Hocke und zog ihn in die Arme. Er fühlte sich sehr dünn an. Sein Haar war zu lang und hing ihm über die Augen, sodass er es immer wieder mit einer Kopfbewegung nach hinten schütteln musste.
» Ich habe dich lange nicht gesehen, Sidonie«, sagte er und wich etwas zurück, um mich in Augenschein zu nehmen. » Du schaust jetzt ganz anders aus.«
» Ich habe dich vermisst, Badou.«
Falida trat zu uns. Auf einem ihrer Wangenknochen prangte ein großer violetter Fleck mit gelblichen Rändern. Bei ihrem Anblick überkam mich Mitleid. Zwar wirkte Badou unterernährt und vernachlässigt, doch wenigstens deutete nichts darauf hin, dass Manon auch ihn schlug. Noch nicht, dachte ich unwillkürlich. » Erledigst du Einkäufe, Falida?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf, ohne ihre finstere Miene abzulegen.
» Wo geht ihr hin?«
Sie antwortete nicht, sondern nahm Badou wieder bei der Hand.
» Wartet«, sagte ich. Sie zog ihn bereits weiter, doch Badou blickte über die Schulter zu mir zurück. Ich folgte ihnen. » Ich komme mit euch.« Falida hob gleichgültig die Schulter und setzte zielstrebig ihren Weg fort. Doch sie gingen nicht in die Sharia Zitoun, sondern in die entgegengesetzte Richtung.
Allein in einer fremden Stadt, spürte ich mit einem Mal, wie gut es tat, endlich wieder zwei bekannte Menschen zu treffen, auch wenn es nur zwei Kinder waren.
Wir kamen durch einige enge Sträßchen, die ich noch nicht kannte, bis Falida schließlich ein unverschlossenes Tor öffnete. Ich musste mich unter dem niedrigen Türsturz hindurchducken, und als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass wir uns außerhalb der Medina befanden. Hinter einer niedrigen, halb verfallenen Mauer lag ein Friedhof. An der Mauer war ein Schild angebracht, auf dem in Arabisch und Französisch stand: Interdit Aux Non-Musulmans. Nichtmuslimen ist der Zutritt nicht gestattet. Ich blieb stehen.
Falida indessen kletterte über die Mauer, beugte sich zu Badou hinüber und hob ihn darüber. Dann gingen sie zwischen den verstreut liegenden Erdhügeln umher. Es gab weder Bäume noch Blumen noch Grabsteine, abgesehen von ein paar schief in der Erde steckender, abgebrochener Ziegelsteine am Kopf- und Fußende der neueren Gräber. Der Friedhof war von Abfall übersät. Er bot einen trostlosen, öden Anblick.
» Wartet!«, rief ich abermals und kletterte ebenfalls über die Mauer. Es gefiel mir nicht, dass Badou sich an so einem Ort aufhielt.
Falida suchte offensichtlich etwas, denn sie hielt immer wieder vor einem Erdhügel inne und betrachtete ihn eingehend. Ich hielt mich hinter den beiden, auch wenn ich nicht wusste, was sie hier taten. Badou umklammerte schweigend die Hand des Mädchens.
Schließlich blieb sie vor einem der niedrigeren Gräber stehen, stellte die gewebte Tasche ab, löste sich aus Badous Umklammerung und hockte sich auf die Fersen. Badou kam zu mir, und ich ergriff seine Hand, während ich Falida beobachtete.
Als ich erkannte, was sie da tat, war ich schockiert. Mir fiel auf, dass die Erde des Grabes locker aufgehäuft war, und das Mädchen grub nun mit beiden Händen darin. » Falida«, sagte ich, doch sie beachtete mich nicht. Als sie reichlich Erde weggeschaufelt hatte, erkannte ich den Fetzen eines Leichentuchs. Ich drehte Badou mit dem Gesicht zu mir, um ihm den Anblick zu ersparen, und legte ihm die Hände auf die Schultern.
» Falida«, sagte ich, strenger diesmal, woraufhin sie zu graben aufhörte und zu mir aufsah. » Was machst du da?«
» Ich hole für meine
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