Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Antworten gab. Was für ein verworrenes Netz: Manon, Aszulay, Olivier. Etienne.
» Stattdessen«, fuhr Aszulay fort, » suchte sie Liebe. Immerzu auf der Suche nach Liebe, stürzte sie sich immer wieder in ein neues Abenteuer und war außerstande zu begreifen, warum ihr jedes Mal das, was sie für Liebe hielt, wieder entglitt.«
Ich betrachtete sein Gesicht. Hatte er sie je angefleht, ihn zu heiraten? Und hatte sie ihn zurückgewiesen, weil er ein Tuareg war, und doch liebte er sie noch immer?
» Aber wann hat Etienne herausgefunden, dass Manon seine Schwester ist?«
Unvermittelt trat Aszulay aus dem Schatten des Baums und sagte: » Ich muss jetzt gehen.«
Ich rührte mich nicht von der Stelle, wünschte, er würde bleiben. Seine Geschichte und die Stimme, mit der er sie erzählte, hatten mich in ihren Bann gezogen.
Er blickte zu mir zurück. » Ich werde Ihre Information an Etienne weitergeben, Mademoiselle O’Shea«, sagte er.
» Ich heiße Sidonie«, sagte ich. Es war mir einfach so herausgerutscht.
Er nickte. Ich wollte, dass er meinen Namen aussprach. Ich wollte hören, wie er aus seinem Mund klang. Aber er hatte mir schon den Rücken zugedreht und ging in langen Schritten davon.
In der nächsten Zeit passierte es hin und wieder, dass ich einen Europäer in einem der Straßencafés des Französischen Viertels erblickte und meinte, es sei Etienne. Und wann immer ich einen groß gewachsenen Tuareg in seinen blauen Gewändern stolz eine Straße entlanggehen sah, hielt ich ihn für Aszulay.
Hie und da träumte ich von Etienne: aufwühlende, verstörende Träume, in denen ich ihn verlor oder ich ihm entglitt. Träume, in denen ich ihn fand, er mich aber nicht erkannte. Ich träumte, ihn in der Ferne zu erblicken, doch je näher ich kam, desto kleiner wurde er, bis er gänzlich verschwand.
Träume, in denen ich in den Spiegel blickte, mich selbst aber nicht erkannte, weil sich meine Züge unaufhörlich veränderten.
Wenn ich aus diesen Albträumen erwachte, versuchte ich mich zu beruhigen, indem ich mir in Erinnerung rief, wie wir uns geliebt hatten. Doch es fiel mir zusehends schwerer, mir zärtliche Momente zu vergegenwärtigen, mir seinen Ausdruck vorzustellen, mit dem er mir entgegensah, wenn ich auf ihn zuging.
Eines Morgens, als ich im Bett meines Zimmers im Hôtel Nord-Africain lag und dem Ruf der Muezzins zum Morgengebet lauschte, streckte ich die Hand zum Nachttisch aus und nahm die Fliese in die Hand, die mir der Blaue Mann auf der Karawanenpiste geschenkt hatte. Mit den Fingerkuppen zeichnete ich das Muster aus kräftigem Blau und Grün nach; die Fliese fühlte sich kühl und weich unter meinen Fingern an. Am meisten faszinierten mich die Farben: Wie hatte ihr Erschaffer nur diese Intensität und Tiefe erreicht?
Ich dachte an die ungezähmte Wildheit von Manons Ölbildern und im Vergleich dazu an die zarten Farben meiner Aquarelle, die peinlich genauen Schattierungen der Blüten. An den vorsichtigen, sorgfältigen Pinselstrich, mit dem ich den Kopfschmuck eines Vogels oder einen Schmetterlingsflügel nachgezeichnet hatte. Sicher, ich hatte hübsche Blumen und Vögel und Schmetterlinge kreiert, wahrhafte Replikate der Natur, doch welche Gefühle riefen sie bei mir hervor? Hatte ich etwas von mir selbst und wenn ja welchen Teil davon in diese Nachbildungen hineingegeben?
Wieder sah ich mich vor meinem geistigen Auge in meinem früheren Kinderzimmer in Albany, einen Pinsel in der Hand, während ich mich bemühte, eine kleine, beschauliche Naturszene einzufangen. Doch mit einem Mal wusste ich, dass jene Bilder nicht mehr meiner neuen Welt angehörten, der Welt, in der ich mich nun befand.
Im Geiste ließ ich die Reise mit Mustapha und Aziz Revue passieren, die hellen, am Strand vertäuten Boote auf dem Atlantik, den gelblichen Himmel am Ende eines Tages, der von Möwen wimmelte. Die wachen, hungrigen Hunde unter den Tischen der Fleischverkäufer in den Dörfern, die darauf warteten, einen Bissen der glitschigen Eingeweide der Ziegen und Schafe abzubekommen, die die Metzger auf den Boden warfen.
Ich rief mir die Palmen ins Gedächtnis, die die Boulevards der Ville Nouvelle säumten, und die Blumen, die in verschwenderischem Überfluss in den Gärten wuchsen. Ich schloss die Augen und erblickte vor meinem geistigen Auge die vibrierende Farbenvielfalt marokkanischen Lebens: der Stoffe, Kleider, Mosaikfliesen, Mauern und Jalousien und Türen und Tore. Farben so leuchtend, dass sie beinahe in den
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