Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Augen schmerzten, Farben so sanft, so dezent und ätherisch, dass ich am liebsten die Hand ausgestreckt hätte, um sie einzufangen.
Ich setzte mich im Bett auf.
Plötzlich verspürte ich Lust, alles zu malen: die Boote, den Himmel mit den Seemöwen und die in Käfigen gehaltenen wunderschönen Vögel auf den Märkten. Auch die dürren Katzen in den Gassen der Medina wollte ich malen, und ja, vielleicht sogar die Köpfe der enthaupteten Ziegen oder die Abgeschiedenheit eines muslimischen Friedhofs. Ich wollte das gewundene Labyrinth der Souks einfangen mit ihren Gassen und ihrem überwältigenden Warenangebot – den gewebten Einkaufstaschen, Teppichen mit ihren ehrfurchtgebietenden Mustern, dem Schmuck mit funkelnden Edelsteinen, den Teekannen aus glänzendem Silber und den regenbogenfarbenen babouches. Ich wollte das kühlende Weiß frisch getünchter Mauern auf die Leinwand bringen; ich wollte die überbordende Fülle der Gewürze auf dem Dschemma el Fna wiedergeben, die zu kunstvollen Pyramiden aufgehäuft waren; und ich wollte das prächtige Blau der Majorelle-Gärten reproduzieren.
Ich hatte keine Ahnung, ob es mir gelingen würde, auch nur eine dieser Szenen glaubhaft wiederauferstehen zu lassen. Aber versuchen musste ich es.
Erneut suchte ich das Geschäft für Künstlerbedarf auf, an dem ich oft vorbeigekommen war und das ich einmal betreten hatte, und kaufte Aquarellfarben, Papier, Staffelei und Pinsel in verschiedenen Größen. Die Ausgaben ließen mein ohnehin schon dünnes Geldbündel weiter schrumpfen, doch mein Drang zu malen war so stark, dass ich nicht anders konnte.
Zurück in meinem Hotelzimmer, stellte ich die Staffelei in die Nähe des Fensters und verbrachte den restlichen Tag damit, meine neuen Utensilien auszuprobieren. Die Pinsel fühlten sich wunderbar zwischen den Fingern an, als gäbe es nichts Natürlicheres auf der Welt. Die Pinselstriche gerieten mir sicher und präzise.
Als das Licht schwand und Nacken und Schultern zu schmerzen begannen, hörte ich auf und besah mir, was ich geschaffen hatte.
Unwillkürlich kamen mir die Aquarelle in der Hotelhalle des Hôtel de la Palmeraie in den Sinn, und ich verglich sie mit dem Bild vor mir.
Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Möglicherweise war er absurd, vielleicht aber auch nicht.
SIEBENUNDZWANZIG
A ls ich ein paar Tage später dabei war, eine Marokkanerin zu malen, hielt ich inne und ging zum Spiegel. Ich band eines meiner weißen Leinentaschentücher um die untere Hälfte meines Gesichts und betrachtete nachdenklich mein Spiegelbild. Mit einem haik bekleidet, sodass nur die dunklen Augen und Augenbrauen sichtbar waren, würde man mich nicht von den anderen Frauen in den Souks unterscheiden können.
Zwar waren mir der Dschemma el Fna und einige der Märkte inzwischen vertrauter, aber noch immer fühlte ich mich unwohl, wenn ich allein in die Medina ging. Die starrenden Blicke der Erwachsenen verursachten mir eine Gänsehaut, und die Scharen bettelnder Kinder, die sich mir an die Röcke hefteten, waren mir ebenso lästig wie die aufdringlichen Zurufe der Händler, die mich zum Kauf ihrer Waren drängen wollten, oder die Tatsache, dass ich immer wieder scheinbar unabsichtlich angerempelt wurde.
Ich verließ das Hotel und blieb vor den Schaufenstern der teuren Bekleidungsgeschäfte in der Ville Nouvelle stehen, in denen kostbare Seidenkaftane ausgestellt waren. Dann ging ich in die Medina, wo ich einen Souk fand, in dem die gleichen Modelle für einen Bruchteil der Preise zu haben waren, die in den noblen Geschäften verlangt wurden. Ich besah mir die einfacheren Modelle und kaufte einen Kaftan, nachdem ich lange und ausgiebig mit dem Händler gefeilscht hatte. Der Kattun hatte ein Muster aus kleinen roten Blumen auf gelbem Untergrund. Dazu erwarb ich einen haik und einen Gesichtschleier. Zurück in meinem Hotelzimmer, probierte ich die Sachen an.
Lange betrachtete ich mich im Spiegel, dann zog ich sie wieder aus und malte das begonnene Bild zu Ende. Am nächsten Morgen verließ ich als Marokkanerin verkleidet das Hotel und begab mich zum Dschemma el Fna. Ich schlenderte über den Platz und schaute mich um. Bisher war ich immer eilig am Rand entlanggegangen und hatte darauf geachtet, die Blicke der Männer zu vermeiden und keine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Dieses Mal war es anders. Ich war unsichtbar geworden. Und diese Unsichtbarkeit ging mit Freiheit einher. Niemand nahm Notiz von mir – weder Franzosen noch
Weitere Kostenlose Bücher